DAS TAGEBUCH
DES HERAKLES

Jugendjahre


Mein Gott, wie schön es ist, nur so in der Natur herumzustreunen, ohne Pflichten, ohne Anforderungen, wenn man die Nase nur dorthin tragen muss, wohin sie zeigt, oder wie das auch immer heißen mag.

Es ist ja so, dass ich viel praktischer veranlagt bin, als theoretisch. Aber man kann schließlich im Leben nicht alles bekommen, deshalb muss ich eigentlich ohnehin recht zufrieden sein.

"Groß wie ein Haus", sagt Iphikles immer über mich und ich bin wohl einen guten Kopf länger als er, obwohl auch er zu den größten in Theben zählt. Und da ist es ganz klar, dass ich im Kampf einen Vorteil habe. Außerdem habe ich mir im Laufe der Jahre auch ein paar Muskeln erarbeitet.

Wir zwei Jungen bekames ein gutes Grundtraining von Amphitryon. Er holte alle möglichen Experten in die Stadt, damit sie uns ihre Spezialitäten lehrten. Am besten von allen Lehrern fand ich Eurytos, der uns zeigte, wie man Pfeil und Bogen hantiert. Vielleicht kommt das daher, dass er seine Kunst im Blut hat, etwa so wie ich. Auf Ziele zu schießen, war für keinen von uns eine Herausforderung, die Pfeile steckten immer da, wo sie stecken sollten. Deshalb wetteiferten wir, wer am schnellsten schießen konnte. Da war er wirklich gut, es sah aus, als brauchte er kaum zu zielen. Erst im letzten Jahr gelang es mir ein paar Mal gegen ihn zu gewinnen. Für den armen Iphikles war das nicht so lustig, obwohl er auch recht tüchtig ist. Ich bin sicher, dass er die meisten besiegen kann, aber gegen uns hatte er keine Chance.

Aber es gibt andere Dinge, die er besser beherrscht als ich, wie Pferde zu lenken - das ist aber auch eine hervorragende Eigenschaft seines Vaters und der war auch unser Lehrer auf diesem Gebiet. Amphitryon war ziemlich hart und hatte große Erwartungen gestellt. Oft bekamen wir Schelte, weil ein Wagenrad nicht gut genug in die Kurve kam, sondern über einen Markierungsstein rollte. Aber er war auch gerecht, er sah den Unterschied, ob man sein Bestes gab und es trotzdem misslang oder ob man nur schlampig war. Aber wie gesagt, bei Wagenrennen war Iphikles immer vorne.

Er war wohl auch im Strategieunterricht besser. Ich bin wahrscheinlich zu heißblütig und zu individualistisch für all diese Taktik. Hier hatten wir den berühmtesten von allen Lehrern, Polydeukes selbst, den Sohn von Leda mit Zeus, also einen Halbbruder von mir. Er unterrichtete uns auch im Gebrauch der Waffen und da ging es mir besser, da konnte ich wieder meine Stärke einsetzen.

Wie auch bei Antolykos, Hermes Sohn, der uns das Ringen beibrachte, und wie man mit den Fäusten kämpft. Auch hier hatte ich einen natürlichen Vorteil, aber es war trotzdem gut, ein paar Griffe und Kniffe zu lernen.

Und dann hatten wir auch Linos, bei dem wir singen lernen sollten und auf Instrumenten spielen. Wie ich diese Stunden hasste! Iphikles war auch nicht gerade ein begabter Sänger, aber ich, ja, ich kann einfach nicht. Genau so wenig wie meine großen Finger auf die kleinen Saiten der Leier passen. Aber der Alte hat das nie begriffen. Gemein war er außerdem. Immer hat er uns ausgelacht, obwohl wir uns bemühten. Und vom Steine werfen ganz zu schweigen. Er hatte immer einen Haufen Kieselsteine in der Tasche und bei jedem falschen Ton, den wir spielten, warf er einen auf uns. Aber darum passierte es ja auch.... Ich sollte gerade ' Weißt du, wieviel Sternlein stehen' spielen, als er eine ganze Handvoll Schotter auf mich warf und sagte:
"Das ist nur ein Vorschuss, sonst komme ich nachher nicht mit."

Einer der Steine traf mich außerdem im Auge, sodass es anständig weh tat. Wäre da nicht jeder grantig geworden? In mir zersprang etwas und da warf ich die verdammte Leier nach dem Alten. Ich wollte ihm nichts Böses, ich war nur zornig. Und der alte Trottel fällt glatt nach hinten um und erschlägt sich im Fallen...

Das war natürlich nicht gut. Es gab einen Riesenradau und bald wusste die ganze Stadt, dass ich Linos getötet hatte. Selbstverständlich kam ich vor Gericht, des Mordes angeklagt. Mein Glück war, dass Iphikles erzählen konnte, was sich wirklich zugetragen hatte.

Und der Richter, Rhadamanthys hieß er, war ein vernünftiger Mensch. Er stellte fest, dass es sich nicht um Mord handeln konnte, sondern höchstens um Totschlag, was aber auch keine Blutrache fordern konnte, weil ich angegriffen worden war und in Selbstverteidigung handelte. Außerdem wäre es niemals meine Absicht gewesen, ihn zu töten.

Er beschloss daher, dass ich ganz und gar freigesprochen wurde. Das geschah vor zwei Jahren, gleich nach meinem sechzehnten Geburtstag. Amphitryon schickte mich dann aufs Land, zu seinen Herden, wo ich ein wenig Rinderzucht lernen sollte. Und auch wenn ich davon überzeugt bin, dass er mir nichts vorwirft, weil auch er weiß, dass es ein Unfall war, glaube ich, dass er Angst hat, dass ich mit meiner enormen Kraft vielleicht öfter Anstoß erregen könnte. Und da scheint das Risko auf dem Land wohl ein wenig kleiner zu sein....


© Bernhard Kauntz, Västerås 1998


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