DAS TAGEBUCH
DES HERAKLES

Unter Göttern im Olymp


Es ist schon ein deftiges Gefühl, hier im Olymp zu sitzen und die ganze Zeit von Göttern umgeben zu sein. Ja, im Augenblick bin ich es ja nicht, weil jetzt sitze ich in meinem Zimmer und warte darauf, dass es Abend wird. Aber ich muss ganz einfach ein paar Worte niederschreiben und erzählen, was heute schon alles geschehen ist.

Allein der Anblick meines Schöpfers ist schon ganz außergewöhnlich, wenn man seinen kräftigen Körper betrachtet, an dem man jeden Muskel sieht. Es freut mich, dass ich wenigstens teilweise seine Statur geerbt habe, auch wenn ich es sonst nie wagen würde, mich mit Zeus zu vergleichen. Seine wallenden, roten Haare und sein mächtiger Krausbart sind auch nicht ohne. Das trägt natürlich auch zum Gesamteindruck seiner Persönlichkeit bei, genauso wie die wildgewachsenen, buschigen Augenbrauen oder seine donnernde Stimme.

Poseidon gleicht ihm so sehr, dass er sein Doppelgänger sein könnte. Der einzige Unterschied ist, dass Poseidon dunklere Haare hat, die in schönen Wellen liegen. Aber unter Zuhilfenahme eines geschickten Barbiers könnte Poseidon Vater gleichen wie ein Ei dem anderen. Hades, dem dritten Bruder, sieht man auch die Verwandtschaft an. Er ist zwar in seiner Art ein wenig ruhiger und auch ein wenig kleiner als die zwei anderen. Und dann mag ich seine bleichen Augen nicht, die immer den Eindruck hinterlassen, als sähen sie sein Gegenüber überhaupt nicht.

Als ich heute heraufkam, zusammen mit Athene, hatten die drei gerade eine Sitzung. Deswegen war ich ehrlich gesagt auch ein wenig sauer auf meinen Erzeuger. Denn als wir ihn trafen, sagte Athene:

"Da schau her, da ist der Herakles."

Aber er nickte nur kurz in meine Richtung und antwortete:

"Ist schon gut, beschäftige ihn einstweilen, ich habe jetzt eine Sitzung mit meinen Brüdern." Und damit ging er weiter.

Ich finde ja, dass er mich wenigstens begrüßt haben könnte. Trotz allem wollte ja er mich hier haben. Andererseits ist es auch klar, dass er jetzt viel zu tun hat. Dass ich sein Sohn bin, macht mich kaum besonders interessant, das sehe ich ja vollkommen ein. Ich meine, er hat doch so viele Kinder - und mehrere von ihnen sind außerdem Götter, warum sollte dann gerade ich so besonders sein?

Aber ich entschuldigte ihn vollständig, als er später vorbeikam, nur um mich zu treffen. Das war zwar auch nur ganz kurz, aber immerhin nur meinetwegen. Und das gibt einem natürlich einen Kick.

"Grüß dich, mein Junge", sagte er und schlug mich auf die Schulter, sodass ich fast gegen die Wand geflogen wäre. "Nett, dich wieder einmal zu sehen, du bist ja seit dem letzten Mal anständig gewachsen. Gut, dass du da bist, wir werden alle Hilfe brauchen, die wir bekommen können. Am Abend haben wir eine Großversammlung, da sehen wir uns wieder. Fühl dich einstweilen wie zu Hause. Ich werde dazusehen, dass dir jemand eine Tasse Nektar vorbeibringt, da kannst du dann etwas richtig Gutes trinken."

Zum Abschied tätschelte er mir die Wange - obwohl ich zuerst glaubte, ich hätte eine Ohrfeige bekommen, bevor ich sah, dass er sehr freundllich lächelte.

Ganz richtig kam nach einer Weile ein süßes Mädel und gab mir einen Becher mit einer farblosen, nahezu ätherischen Flüssigkeit. Ich kostete vorsichtig, aber oho, was für Geschmack! Ich weiß nicht, wie ich den beschreiben soll, für ein so göttliches Erlebnis gibt es eigentlich keine Worte. Vielleicht kann man sich annähern, wenn man sich vorstellt, wie es schmeckt, wenn man ein Stück gebeizten Lachs, so wie sie ihn im hohen Norden zubereiten, wenn man also so ein Stück in den Mund steckt und ihn dann dort mit einem Schlückchen Akvavit vermischt, bis er auf der Zunge zergeht. Trotz allem ist das aber nur ein derber Versuch einen Vergleich zum Nektar zu finden.

Das Mädchen, das mit dem Nektar gekommen war, behauptete, dass sie Hebe sei, also schon wieder eine meiner Halbschwestern. Zum Unterschied von den meisten anderen war sie ein eheliches Kind meines Vaters, das er zusammen mit Hera bekommen hatte.

Wir redeten eine Weile miteinander und unterhielten uns prächtig. Sie war nicht nur hübsch, sondern auch fröhlich und redselig. Wir lachten recht viel miteinander, während ich meinen Nektar austrank.

Sie erzählte Geschichten über die anderen Götter, wie Hermes Apollos Kühe in einer Höhle versteckt hatte; wie Hephaistos Aphrodite in einem Netz fing, als sie mit Ares fremdging; und wie sie selbst ihre Arbeit bei Zeus als Mundschenk verlor, nur weil sie einmal ausrutschte..... Aber auch das quittierte sie mit einem Lachen, ganz ungezwungen und ohne Ärger oder Enttäuschung.

Wenn ich nicht mit Megara so glücklich verheiratet wäre, hätte ich mich auf der Stelle verlieben können. Ich fand es sehr schade, als sie ging, aber sie musste dann Hera - von allen Göttern - bei einigen Arbeiten behilflich sein.

Weil wir schon von Hera reden, sie ist wirklich ein riesengroßes Weibsbild. Ich weiß nicht, ob sie hübsch ist, vielleicht gibt es ein paar Leute, die das behaupten würden. Sie hat ziemlich große, braune Augen und lockige, walnussfarbene Haare, die ihr ziemlich lang über den Rücken fallen und sie ist trotz ihrer Größe sehr wohlproportioniert. Aber sie ist ganz einfach nicht mein Typ, da kann man nichts machen.

Aphrodite dagegen ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Sie besitzt eine mystische Urkraft, was ihre Ausstrahlung betrifft, die auf einem sehr intuitiven Niveau jeden Mann ansprechen muss. Sie kommt durch ihre Art zu sprechen zum Ausdruck, natürlich auch in ihrem sensuellen Aussehen und nicht zuletzt in ihren Bewegungen, die so grazil und weiblich wirken.

Ach, ich könnte den ganzen Tag hier sitzen und alle beschreiben, die ich getroffen habe, aber ich muss daran denken, mich ein wenig hinzulegen, vor der Versammlung am Abend. Man soll ja ganz ausgeruht sein, wenn man kämpfen muss, und man weiß nie, wann es losgeht....

Aber bevor ich aufhöre, muss ich noch schnell erzählen, wie freundlich alle gewesen sind. Athene hat eine neue, glänzende Rüstung hervorgezaubert, die ist ganz einfach ein Prunkstück. Aber das gilt den anderen Geschenken auch. Von Hephaistos bekam ich einen vergoldeten Köcher und von Apollo Pfeile, die ihr Ziel nie verfehlen, und von Hermes ein Schwert, das auch nicht von schlechten Eltern ist. Sein Handgriff ist ebenfalls vergoldet und so schön gearbeitet, dass man ihn gar nicht angreifen möchte. Außerdem sind auch alle anderen freundlich zu mir, alle lächeln und die meisten haben ein paar nette Worte für mich.

Ich habe auch ein Theorie dafür, was Athene eigentlich mit mir gemacht hat, als sie mir die Kraft gab, den Anblick der Götter zu ertragen. Ich glaube, dass sie mich viel größer gemacht hat, auch wenn das schwer zu beweisen ist, weil es hier ja keine Referenzpunkte gibt, außer den Göttern und ihren Gebrauchsgegenständen. Aber ich bin kaum kleiner als irgendein anderer der Götter und die müssen doch riesig sein, wenn man daran denkt, was sie alles machen können, oder dass Zeus Athene aus seinem Kopf geboren hat, zum Beispiel. Oder auch dreht es sich um eine Art von Relativität, dass man alles so erlebt, wie es nötig ist, mit fließenden Grenzen. Na, ich weiß es doch nicht - und jetzt habe ich gerade zum fünften Mal gegähnt, jetzt ist es wirklich Zeit für eine kleine Pause. Es ist jedenfalls ziemlich anstrengend, so göttergleich zu sein.


© Bernhard Kauntz, Västerås 1999


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