Ein Stadtspaziergang

(Grote Markt - Anspachlaan - Grote Eiland - A Dansaert - Vlaamse Steenweg - Muntplein)


Bei einem unserer Ausflüge ergatterte ich ein Büchlein, das die Sehenswürdigkeiten von Brüssel erklärte. Nun gibt es so etwas an und für sich bei jedem Kiosk in der Touristenzone zu kaufen, aber das hier hatte schon fast Antiquitätswert. Bei näherem Betrachten zu Hause, war es aber gar nicht so alt, sondern stammte aus dem Jahr 1991. Drinnen fand ich Vorschläge für Stadtspaziergänge - da musste ich natürlich einen davon gleich erproben. Man lernt ja immer wieder Neues dabei, das Wetter war auch schön - also los.

Alle Spaziergänge gehen vom "Grote Markt" aus, oder, wie die Franzosen ihn nennen, "Grand Place". Von eben diesen Franzosen wurden die Gebäude auf diesem Platz im Jahr 1695 bombardiert und völlig vernichtet. An der Rathauswand hängt ein Schild, das von den Einwohnern Brüssels gestiftet worden ist.
Nachdem Brüssel aber zweisprachig ist (etwa 80% sprechen Französisch und 20% Flämisch) muss man den Text in beiden Sprachen schreiben. Am 200. Jahrestag des Wiederaufbaus des Großen Markts würdigt man der Seelenskraft der Ahnen, die in nur 2 Jahren die Gebäude wiederherstellen konnten.

Aber wir wollen ja nicht über den Großen Markt sprechen, sondern über die Stadtwanderung.
Allerdings ist der erste Anhalt gleich unter den Arkaden im Haus "der Stern", noch immer am Großen Markt. Dort gibt es eine Gedenktafel, die Karel Buls gewidmet ist und 1899 von Victor Rousseau ausgeführt wurde. Karel Buls war von 1881 bis 1899 Bürgermeister von Brüssel und hatte sich besonders für die Restaurierung der Gebäude am Großen Markt eingesetzt. Auch die Straße, die hier zwischen dem Rathaus und dem "Stern" anfängt, trägt den Namen dieses Bürgermeisters.

Die zweite Gedenktafel, gleich daneben, hat geschichtlichen Hintergrund. Sie wurde von Julien Dillens errichtet, der Zeitgenosse von Rousseau war. Sie ist Everard 't Serclaes gewidmet, einem großen Mann der Stadt Brüssel, der am 24. Oktober 1356 die Stadtmauern niederriss und den Grafen von Flandern, Louis de Male, aus der Stadt vertrieb. Ganz uneigennützig war diese Tat zwar nicht, denn dadurch dass man Louis vertrieb, wurde der brabantische Thron für den Schwiegersohn des Everard wieder frei. Dieser war seinerseits ein paar Jahre früher von Louis gestürzt worden. Everard wurde dann fünfmal zum Ratsherren gewählt, bevor er 1388 ermordet wurde, als er die Bürgerrechte der Brüsseler gegen den Herzog von Gaasbeek verteidigt hatte.
Die Statue soll jedem Glück bringen, der den Arm des dort liegenden Everards berührt. Viele Touristen tun das natürlich - die meisten wissen wahrscheinlich gar nicht warum, sondern machen es nur anderen nach.
Man greift halt hin, wo andere hingegriffen haben, auch auf das Engelsgesicht, den Hund und den Schild. Dadurch wird die Schmutzschicht auf diesen Stellen aber abgenützt und erscheint golden, während der Rest des Standbilds dunkelschwarz geworden ist.
Wenn man dann die Stoofstraat ein Stückchen weiter entlang geht, kommt man zu dem kleinen Kerl, der schon seit Jahhunderten sein Wasser in diesen Brunnen fließen lässt. Er ist ja wirklich nicht groß, aber das ist es vermutlich gerade, was dieses Kerlchen so sympathisch macht.
Außerdem haben wir Glück und finden ihn ganz "natur" vor. Es kann nämlich durchaus geschehen, dass er angezogen ist.
Man hat daraus eine ganze Industrie gemacht, mit allen Kleidern, die er schon getragen hat. Da gibt es Kartenspiele, Klebebilder und was weiß ich noch, von den verschiedenen Ausstaffierungen. Im Haus nebenan gibt es sogar ein Museum, wo alle früheren Kleider ausgestellt werden. Meiner Ansicht nach soll er ja so aussehen, wie er erschaffen wurde - und das in wörtlicher Bedeutung.

Wir biegen jetzt in die Lievevrouwbroersstraat ein. Der Name ist ein Rätsel, denn "Lievevrouw" ist Jungfrau Maria. So weit, so gut. Aber "broer" bedeutet Bruder ... Und meines Wissens hatte Maria keinen Bruder, wenigstens keinen, von dem etwas bekannt ist. Auf jeden Fall sagt das Büchlein, dass sich das Bild dieses Stadtviertels seit dem Wiederaufbau nach 1695 nur unwesentlich verändert hat. Nun, ich bin sicher, dass die Grafittischmierereien an den Hauswänden relativ neulich dazugekommen sind. Wahrscheinlich sogar erst nach der Entstehung meines papierenen Führers.

Aber egal, die Straße führt uns zum Kohlmarkt. Dort finden wir eine Kirche, nämlich die "Onze-Lieve-Vrouw-Van-Bijstand"-Kirche. Wenn man jetzt weiß, dass "van bijstand" Hilfe bedeutet, dann ist das auf gut Deutsch die Maria-Hilf-Kirche. Der Führer empfiehlt eine Besichtigung. Na, dann.
Aus Platzgründen habe ich aber die Beschreibung der Onze-Lieve-Vrouw-Van-Bijstand"-Kirche auf eine eigene Seite gelegt. Ich empfehle Ihnen, dem Link zu folgen, denn natürlich ist die Kirche ein Teil des Stadtrundgangs.

Wir gehen jetzt um die Kirche herum und kommen auf die Anspachlaan. Jules Anspach war von 1864 bis 1879 Bürgermeister von Brüssel und hatte in dieser Position erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Stadt. Der große Justizpalast und das Kunsthistorische Museum wurden zum Beispiel unter seiner Regentschaft erbaut. Aber auch die Senne, das Flüsschen, an dem Brüssel liegt, wurde in die Unterwelt verbannt und etliche große Boulevards angelegt. Berühmte Baumeister wurden engagiert, wie Joseph Poelaert, der außer dem Justizpalast auch für die Marienkirche in Laken und etliche andere Gebäude verantwortlich zeichnete. Aber auch Jugendstilarchitekten wie Victor Horta oder Paul Hamesse führten die Gestaltung der neuen Gebäude und der darin befindlichen Geschäfte durch.

Nun biegen wir links in die Rijkeklarenstraat ein, wo wir gleich die nächste Kirche sehen, mit demselben Namen wie die Straße.

Die Besichtigung der Kirche der Reichen Clarissen ist jedoch wieder hinter dem Link zu sehen. Dort gibt es auch eine Erklärung zu dem sonderbaren Namen.

Nach dem Besuch der Kirche gehen wir ein paar Schritte zurück und biegen nun in die Groot Eiland ein. Der Name, "große Insel" kommt daher, dass hier früher eine Insel der Senne belegen war. Die Straßen in dieser Umgebung folgen noch einer sehr alten Stadtstruktur, schmal und gewunden. Wir gehen die Straße entlang, bis wir zum Sint-Goriksplein kommen. Bevor wir uns jedoch dem Platz widmen biegen wir links ab und gehen durch ein Gittertor in die Hinterhöfe der Gebäude. Dort sehen wir teils die Rückseite der Kirche, aber auch ein kleines Stück der Senne, die hier nicht überdacht ist. Die Gegend um den St. Goriksplatz ist der allerälteste Teil von Brüssel. Hier errichtete der Herzog Karl von Niederlothringen im Jahr 979 ein Kastell.

Auf dem Platz finden wir auch eine Tafel, die erzählt, dass sich hier die Kirche Sint-Gorik befunden hat, die, an der Stelle einer alten Burgkapelle der Herzöge von Niederlothringen, im 16. Jhd. erbaut wurde. Die Kirche wurde jedoch 1798 abgerissen, nachdem sie als Nationaleigentum verkauft wurde. 1881 erbaute man statt dessen einen überdachten Markt.

Bevor wir den Markt verlassen, fällt uns noch eine Wandmalerei auf, die ganz entschieden besser aussieht, als die diversen Grafitti unserer Zeit. Andererseits ist Belgien ja auch für die Urheber dieser gezeichneten Comics bekannt. Wer kennt nicht Hergé, den Erschaffer von Tim und Struppi (Tintin)? Das Comic auf dem Bild stammt von Max Sleen. Die meisten Belgier kennen die Figuren Nero (ganz oben) und Professor Adhemar (der alle anderen stützt) beim Namen. Im Hintergrund erkennt man auch den Detektiv Van Zwam (auf der Erde suchend), mit dem die Serie eigentlich begonnen hat.

Wir gehen nun die Karperstraat entlang, bis zur Kreuzung, wo die Antoine Dansaerstraat beginnt. Diese Straße hat sich durch ihre avantgardistische Mode einen Namen gemacht. Aber bevor wir dort einbiegen, sehen wir schnell in die andere Richtung, wo die griechisch inspirierte Brüsseler Börse durch den Großstadtverkehr schaut. Der Entwurf für das Gebäude stammt von Léon Suys, der schön ausgearbeitete Fries stammt von dem Bildhauer Auguste Rhodin. Das Ganze enstand in den Siebzigerjahren des 19. Jhd. Erwähnenswert ist aber auch, dass die Börsen in Belgien (Brügge, Antwerpen) zu den allerältesten der Welt zählen und aus dem 15. Jhd. stammen.
Die Brüsseler Börse gibt es allerdings erst seit dem 2. Juli 1801. Sie wurde während der Regentschaft Napoleons in Belgien erschaffen. Im unterirdischen Museum der Börse kann man heute noch die Reste des Récollete-Klosters sehen, an dessen Stelle die Börse entstand.
Wenn man dann in die Antoine Dansaertstraat einbiegt, kann man nicht umhin, das Haus zu sehen, dessen unterer Teil in turkoser Farbe angestrichen ist. Es ist dies l'Archeduc, eine Pianobar, die im Art-Deco-Stil eingerichtet ist. Es gibt aber noch mehrere Lokale auf dieser langen Straße und es lohnt auch, ab und zu den Blick zu heben, um die Augen an der einen oder anderen Jugendstil"creation" zu weiden.
Wir folgen der Antoine Dansaertstraat eine Weile und gehen über den Oude Graanmarkt (alten Getreidemarkt) und kommen gleich danach zum Nieuwe Graanmarkt (neuen Getreidemarkt). Dort biegen wir rechts in die Léon Lepagestraat ab. Léon Lepage war, wie auch Antoine Dansaert, einer der Stadträte von Brüssel um die Jahrhundertwende zum 20. Jhd. Lepage war außerdem ein bekannter Advokat. Die zwei Straßen, die die Namen der beiden tragen, wurden erst 1911 gebaut, um mehr Platz für den Verkehr von der Börse nach Westen zu schaffen. Seit 1990 zeigt sich ein sozialer Wandel an, weil immer mehr wohlhabende Bürger sich in dieser Gegend ansiedeln.
Bevor wir noch den Schweinemarkt erreichen, geht es links weiter in die Papenvest. Die Papenvest ist im Gegensatz zu den vorigen eine sehr alte Straße, mit Ahnen aus dem 13. Jhd. Sie folgte damals dem Verteidigungswall der Stadt. Heute führt sie uns ein Stückchen zurück und lässt uns dann rechts in die schmale Ooievaarstraat abbiegen.
Früher hieß die Ooievaarstraat Schwanstraße, aber nachdem es in Brüssel so viele Schwanstraßen gab, taufte man 1851 diese hier in Storchstraße um. Über Nummer 13 gibt es noch einen Hahn, der früher vermutlich das Hauszeichen war. Wie in jeder Altstadt, ist es recht romantisch, inmitten des Straßenlärms in eine Oase der Ruhe abbiegen zu können. Die Ooievaarstraat ist nur 70 Meter lang und führt auf den Vlaamse Steenweg, wo wir rechts abbiegen sollen.

Dass es dort ein Gittertor gibt, das außerdem noch verschlossen ist, erzählt mein Stadtführer allerdings nicht. Nun, andererseits ist er ja schon bald zwanzig Jahre alt ...
Wir müssen also umdrehen, aber wir finden trotzdem den Vlaamse Steenweg und können jetzt auch den letzten Teil unseres Spaziergangs durchführen. Steenweg deutet darauf, dass es auch eine alte (und wahrscheinlich wichtige) Straße ist, denn Vlaamse Steenweg bedeutet ganz einfach "Flanderns gepflasterte Straße".

Wir folgen der Straße bis zum St. Katelijneplatz, wo wir die Katherinenkirche finden, die ebenfalls einen Besuch wert ist. Bevor man weiß, dass es sich um denselben Namen handelt, kann man sich vielleicht wundern, dass die Katherinenkirche am Katelijneplatz steht. Aber man lernt ja nie aus - man könnte also genauso gern Katelijnenkirche sagen. Die Besichtigung der Katharinenkirche ist wieder hinter diesem Link verborgen.
Auf diesem Platz befand sich ein Becken des alten Brüsseler Hafens, bis es 1853 zugeschüttet wurde. Drei Jahre vorher war es nämlich zu schweren Überschwemmungen gekommen. Der etwas seitlich stehende Turm gehört noch zu der vorigen Kirche, die, aus dem 17. Jhd. stammend, auch unter dem Hochwasser gelitten hatte und 1893 abgetragen wurde.
Hier, am Katelijneplatz, gab es den letzten Obst- und Gemüsemarkt von Brüssel, der noch unter freiem Himmel stattfand. Gleich anschließend gab es den Fischmarkt, was heute noch durch die Restaurants unterstrichen wird, die hauptsächlich auf Fischspeisen ausgerichtet sind.
Gleich hinter der Kirche steht der "Schwarze Turm", der noch ein Überbleibsel der alten Stadtmauer aus dem 13. Jhd. ist.
Wir aber gehen am Turm vorbei und folgen der Bisschopsstraat, die uns zum Muntplein bringt. Dort finden wir, was heute die Nationaloper Belgiens ist, nämlich die Koninklijke Muntschouwburg. Es wurde zunächst im Jahr 1818 von Architekt Damesme ein Theater gebaut, das an der Stelle des "Hotel de la Monnaie", einem alten Münzgebäude, errichtet wurde. Hier schrieb Belgien Geschichte. Am Abend des 25. August 1830 gab man "die Stumme von Portici", ein stark vaterländisch betontes Stück. Im dritten Akt heißt es in einer Arie: "Laufet zur Rache! Die Waffen, das Feuer! Auf dass unsere Wachsamkeit unserem Leid ein Ende bereite!" Daraufhin erhob sich das Publikum, das schon vorher durch die Texte der Oper aufgeheizt worden war und schrie: "Aux armes! Aux armes!" (Zu den Waffen!). Dass die Oper zu Ehren des Königs Wilhelm I von Niederlande aufgeführt wurde, der seinen 59. Geburtstag feierte, ist eine Ironie des Schicksals. Denn gerade von ihm wollte man sich freisagen.
Seit 1850 wurden in diesem Theater nur mehr Opern aufgeführt. 1855 brannte das Gebäude aber vollständig ab. Ein Jahr später stand das Opernhaus jedoch wieder auf seinem Platz, so wie wir es heute kennen, diesmal nach Plänen von Joseph Poelaert.

Über die Kleerkoperstraat rechts und dann den Botermarkt links kommen wir zum "Grote Markt" zurück, wo wir unsere Stadtwanderung begonnen haben.


Copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2009


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