DAS HAUS
DER GESCHICHTE

1974 - 1989:
Neue Herausforderungen


Doch auch das Wirtschaftswunder währte nicht ewig. Anfang der Siebzigerjahre begann die Arbeitslosenrate in die Höhe zu klettern. Die Inflation stieg steil an und die Autoindustrie, bisher Motor der Wirtschaft, bekam weit weniger Aufträge. Letzteres hatte natürlich mit der ersten Ölkrise zu tun, die durch den Krieg zwischen Israel und den Arabstaaten ausgelöst wurde. Die OPEC-Staaten beschlossen, die Ölförderung als Druckmittel zu verwenden und die Produktion herabzuschrauben, was seinerseits höhere Ölpreise bedingte.
Der rasante Anstieg der Benzinpreise zwischen 1972 und 1974 betrug 25 Prozent (im obigen Diagramm der steile Anstieg ganz links). Energie sparen wurde von der Regierung propagiert. "Tempo 100" auf der Autobahn und autofreie Sonntage wurden Wirklichkeit. Diese Maßnahmen dauerten nicht lang, aber man war von der Wirklichkeit eingeholt worden und überlegte Gegenmaßnahmen. Ein kräftiger Ausbau der Atomkraft schien eine logische Lösung zu sein, hatte aber bald heftige Protestreaktionen der Bevölkerung zur Folge. Ein paar Jahre zuvor hatte der "Club of Rome" schon gewarnt und "Die Grenzen des Wachstums" angesprochen. Diese Debatte wurde nun tagesaktuell.
Auch der Außenhandel brachte nicht mehr denselben Überschuss wie früher. Das hing jedoch auch mit den steigenden Importen zusammen. Erzeugnisse der Musik- und Fotoindustrie, Computer und Uhren wurden nunmehr in Fernost billiger angefertigt und konkurrierten auf dem heimischen Markt.
Der erste Weltwirtschaftsgipfel (heute G8 bzw. G9) wurde 1975 ins Leben gerufen und hat seither jährliche Treffen. Sein Ziel ist, die Wirtschafts- und Finanzpolitik untereinander zu koordinieren (oder, wenn man es krass sagen will, um die Weltherrschaft auf diesen Gebieten zu stärken). Kraftfahrzeuge und chemische Erzeugnisse blieben aber weiterhin unter deutscher Dominanz.
Der VW Golf wurde ein ebensolcher Renner wie es der Käfer gewesen war.
Ein politischer Skandal schlug hohe Wellen, als man Günter Guillaume als Spion entlarvte. Der enge Mitarbeiter von Willy Brandt hatte für den Staatssicherheitsdienst der DDR gearbeitet. Brandt übernahm die Verantwortung für dieses Malheur und erklärte unmittelbar seinen Rücktritt. Sein Nachfolger wurde der bisherige Wirtschafts- und Finanzminister Helmut Schmidt. Bernhard Heisig malte das nebenstehende Porträt von ihm.
Es war keine leichte Zeit, um das Steuer zu übernehmen. Die internationale Konjunktur schwächelte nach der Ölkrise ebenfalls. Die öffentliche Verschuldung wuchs dramatisch und die Strukturumwandlung der Industrie führte eine neue Form der Arbeitslosigkeit mit sich, weil ein Teil der Menschen die falsche oder zu wenig Ausbildung hatte - oder ganz einfach als zu alt angesehen wurde, teilweise schon mit fünfzig.
Außerdem war diese neue Arbeitslosigkeit nicht mehr so sehr von der Konjunktur abhängig. Die Mikroelektronik führte zwar mit sich, dass viele körperlich belastende Arbeiten nun von Computern ausgeführt werden konnten, aber es bedurfte auch spezieller Kenntnisse, um diese Computer zu steuern und überwachen zu können. Ein Stahlarbeiter, der es gewohnt war, mit seinen Händen anzupacken, hatte ja nicht unbedingt die Qualifikationen um einen Computer überwachen, beziehungsweise warten zu können. Dasselbe galt natürlich für einen Schweißer an der Fertigungsstraße einer Kraftfahrzeugproduktion oder für einen Schriftsetzer in einer Druckerei. Aber gerade in diesen Sparten war der Bedarf an Arbeitskraft rückläufig. Natürlich gab es Arbeitslosengeld, aber viele empfanden es durchaus nicht als zufriedenstellend, sich die Lebensunterhaltskosten beim Arbeitsamt abholen zu müssen. Man fühlte sich wertlos.
Nicht zuletzt jugendliche Arbeitnehmer begannen unter Arbeitslosigkeit zu leiden, obwohl sie vielleicht genügend Ausbildung hatten. Dagegen fehlte ihnen die Arbeitserfahrung. In dieser Zeit wurde vermutlich der Grundstein gelegt, der zur heutigen, großen, europaweiten Jugendarbeitslosigkeit führte. Der gesteigerte Bedarf an Arbeitslosengeld war aber wieder eine weitere Belastung für den Staatshaushalt.
Im Dienstleistungsbereich führte der Computer zur Beschleunigung vieler Arbeitsgänge, sei es bei der Postsortierung oder bei allgemeinen Büroarbeiten. Wenn auch in geringerem Ausmaß, gab es auch hier die Angst vor dem Computer und davor, etwas falsch zu machen. Die Ausbildung dafür wurde aber bevorzugt jüngeren Leuten zuteil, die noch länger in der Produktion tätig sein würden.
Eine Sparte, die bei diesem Strukturwandel gut ausstieg, war der Finanzsektor. Banken und Sparkassen waren wie geschaffen für die Arbeiten, die ein Computer ausführen konnte.
Hier wurde ebenfalls menschliche Arbeitskraft ersetzt, aber man hatte ein besseres Konzept als die Industrie. Man fand neue Aufgaben für die Menschen, deren Arbeit jetzt der Computer leistete. Durch Girokontos konnte man außerdem Privatpersonen als neuen Kundenkreis gewinnen, weil nun das Gehalt auf ein Bankkonto einfloss und nicht mehr in der Firma ausbezahlt wurde. Man verlegte sich auch auf Ratgebung und Kleinkreditenverleih, sowie Immobilienvermittlung und Versicherungsgeschäfte - eben mit und für diese Privatpersonen, deren Einkommen nun auch in die Höhe schnellte, vorausgesetzt, dass sie Arbeit hatten.
Mit diesen neuen Sektoren machten die Banken selbst auch ein gutes Geschäft und konnten sich nunmehr größere Investitionen leisten, wie großzügig angelegte und toppmoderne Büroräume und Gebäude.
Die Politiker versäumten es, die Banken rechtzeitig zu zügeln und daher kam es, dass sie mit der Zeit weit übers Ziel schossen und schließlich mit Steuergeldern wieder fit gemacht werden mussten, obwohl sie gleichzeitig ihre Kunden mehr und mehr schröpften.
Für Menschen mit einem Durchschnittseinkommen waren diese Jahre eine gute Zeit. Das Gehalt stieg schneller als der Lebensunterhalt und man konnte sich neue Dinge leisten. Reisen im Urlaub, Sport und Fernsehen in der Freizeit spielten eine immer größere Rolle im Leben.
Im Urlaub beschränkte man sich nicht länger auf Reisen zum Mittelmeer, sondern es kamen jetzt auch exotische Angebote in der Karibik, in Afrika oder in Asien dazu. Fitness wurde groß geschrieben und im Fernsehen nahmen "Dallas" und der "Denver Clan" ein paar Stunden pro Woche in Anspruch.
Nicht alle fanden diese Zeit des Umbruchs gut. Die erste Gruppe der Roten Armee Fraktion mit Andreas Baader und Ulrike Meinhof hatte mit dem Terror den Anfang gemacht und es folgten weitere Wellen von Linksterrorismus. Banküberfälle, um Geld für Waffen und gefälschte Papiere anzuschaffen, Brandstiftungen, Entführungen und auch Morde kamen allzu oft in die Tagesnachrichten. Bald versuchte man durch Geiselnahmen inhaftierte Mitglieder frei zu bekommen.
Das gelang nur in einem Fall, als ein CDU-Politiker enführt wurde. Da einigte man sich auf einen Austausch. In allen anderen Fällen blieb die Regierung hart. Aber auch für Politiker ist das Hemd näher als der Rock?! Sonst waren es meistens hochrangige Personen aus der Wirtschaft, die Opfer der Entführungen wurden.
Nun kann man Gewalt niemals verteidigen, aber ebenso wahnsinnig wie die Ideen der Terroristen waren die Vorteile und Einkommen der oberen Zehntausend. Es gab aber auch gemäßigte Bürgerinitiativen, wie zum Beispiel gegen das Atomkraftwerk Brokdorf, oder gegen die amerikanischen Mittelstreckenraketen. Auch hier ging es nicht immer gewaltfrei zu. Dieser Trend hat sich weiter entwickelt. Heute geschieht es jedoch oft spontan bei Demonstrationen und Aufläufen. Der Grund ist aber im Prinzip derselbe und die Wurzeln sind damals entstanden.
Nicht alle Unzufriedenen waren Extremisten. Es gab gemäßigtere Forderungen, die im Grund jedoch dieselben Ansprüche stellten. Zum Beispiel, dass man nicht die Arbeit, sondern die Produktion besteuern müsste. Das war ein anfänglicher Leitspruch der Grünen, die im Beginn nicht zu Unrecht als Protestpartei gesehen wurden. Sicher gab es auch schon am Anfang Umweltfragen im Programm, aber auch die hatten die Umweltverschmutzer als Angriffspunkt - und das waren und sind nun nicht die Arbeitnehmer ...
1983 zogen die Grünen zum ersten Mal - mit 5,6 Prozent der Stimmen - in den Bundestag ein. Sie versuchten anfangs ihre Ideale auch umzusetzen, stellten Blumenvasen auf ihre Pulte, kamen in lässiger Kleidung in die Sitzungen und anderes mehr. Heute sind sie längst politisch integriert, wenn auch ihr Einfluss vielleicht den Ausbau der erneuerbaren Energie schneller vorangetrieben hat.
Um mit gutem Beispiel voranzugehen, gibt es auf einem Balkon des Museums eine kombinierte Solar- und Windkraftanlage. Und auch wenn die augenblickliche Leistung kaum genügt um eine Lampe zu betreiben, hat man seit Beginn der Installation gute 2700 Kilowatt Strom erzeugt und nicht zuletzt 851 kg Kohlendioxyd eingespart.
"Man" hat lang gesagt, dass es sich nicht lohnte, in erneuerbare Energie zu investieren. Aber das waren meist die "Experten" der großen Energiekonzerne, die das behaupteten. Und die wollten vermeiden, neue Konkurrenz zu bekommen.
Dabei gab es Grund genug, die Umweltprobleme ernst zu nehmen. Das Waldsterben durch den sauren Regen war inzwischen überdeutlich, besonders in der DDR. Dort fanden Umweltfragen aber überhaupt kein Gehör, weil das einzige Ziel eine höhere Produktion war, um den Rückstand zur BRD aufzuholen. Die allgemeine Luftverschmutzung trug zu Krankheiten der Atemwege und zu immer häufigeren Allergien bei.
Noch schlimmer allerdings waren die Katastrophen der Atomkraftwerke in den USA (Harrisburg, Pennsylvania 1979) und in der Sowjetunion (Tschernobyl, Ukraina 1986). Letzterer Unfall verstrahlte halb Europa mit Cäsium-137. Dieses hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren, das heißt, dass nach dieser Zeit immer noch die Hälfte des radioaktiven Materials besteht. Seit Tschernobyl sind bisher 28 Jahre vergangen ... Aber inzwischen wird dieses Unheil bei weitem von der Katastrophe in Fukushima überschattet. Womit hatte die Atomkraftindustrie damals Werbung gemacht? - "Höchstens ein ernster Unfall in zehntausend Jahren ..."
Ein anderes, international wichtiges Ereignis war der Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan. Der Westen verurteilte dies und unterstützte die aufständischen, islamischen Rebellen und Taliban kräftig! Hätte man ihnen damals keine Waffen gegeben, sähe es dort heute vielleicht anders aus.
Das war wieder einmal eine "perfekte" Analyse des Weltgeschehens seitens der USA. In Polen war Lech Walesa die treibende Kraft hinter der Bildung von Solidarnosc. Das wiederum behagte den Sowjets nicht so sehr.
In der BRD wechselte Ende 1982 die FDP wieder einmal die Seiten. Man begann mit der CDU/CSU zu flirten und nach einem Misstrauensvotum im Bundestag musste Helmut Schmidt seinen Hut nehmen. Neuer Bundeskanzler wurde Helmut Kohl. In der vorgezogenen Wahl im März 1983 wurde er von der Bevölkerung bestätigt und die Christdemokraten bildeten mit CSU und FDP eine Koalitionsregierung.
Die Regierung Kohl setzte weiterhin auf eine Entspannungspolitik der DDR gegenüber. Die BRD übernahm Kreditgarantien in der Höhe von zwei Milliarden für den östlichen Nachbarn und führte "Freikäufe" von politischen Gefangenen durch. Die DDR baute im Gegenzug an der Grenze in Berlin Selbstschussanlagen ab und vergab viel mehr Ausreisegenehmigungen. 1984 ließ man nahezu 35000 Menschen in den Westen fahren.
Die DDR kämpfte weiterhin gegen das Unterangebot an Waren und an Devisenmangel. Eine typische, moralisch und ökonomisch schlechte Lösung waren die Intershops. Dort gab es Waren aus dem Westen - aber nur gegen Westwährung. Damit trieb man nicht nur den Wechselkurs am Schwarzmarkt in die Höhe, sondern man machte auch der Bevölkerung lange Zähne auf Unerreichbares. Rund 25 Millionen private Pakete jährlich wurden vom Westen in die DDR geschickt. Kleidung und Hygieneartikel waren dort hoch gefragt - auch Kaffe und Schokolade versüßten das Leben ein wenig.
Schon früh musste man in der DDR die Hoffnung aufgeben, westliche Rundfunk- und Fernsehsendungen zu untersagen. Die westliche Werbung trug ihrerseits dazu bei, die BRD als Schlaraffenland darzustellen. Was man dabei vergaß, war der Unterschied zwischen den beiden Systemen. Im Osten hatte man (wertloses) Geld in Hülle und Fülle, konnte dafür aber nichts kaufen, während man im Westen zwar alles kaufen konnte - aber nur, wenn man genug Geld hatte.
Der kulturelle Austausch zwischen den beiden Staaten war im Allgemeinen interessant, aber auch von der Zensur im Osten sehr erschwert. Schon 1976 hatte man Wolf Biermann ausgebürgert, weil seine Texte nicht in den Geschmack fielen. Und Stefan Heym hatte ganz recht, als er sagte: "Die Ausbürgerung könnte sich einbürgern ..." Tatsächlich ließ man viele Kulturträger das Land verlassen, um nicht unliebsamer Kritik ausgesetzt zu sein.
Obwohl sich die Zeiten seit 1985 zu ändern begannen, übersah man diese Zeichen in der DDR und griff nach wie vor schärfstens durch, wenn man Opposition auch nur erahnte. Diese organisierte sich hauptsächlich durch Versteckspiele in den Kirchen, da dort noch die größte Freiheit zu finden war.
Auf sportlichem Gebiet blieb die DDR bei internationalen Wettkämpfen weiterhin hochklassig. Im Museum kann man noch den Badeanzug von Kristin Otto sehen, in dem sie bei den Olympischen Spielen in Seoul nicht weniger als sechs Goldmedaillen erschwommen hatte. Das Internationale Olympische Kommittee ehrte Kristin Otto mit einem Sonderpreis, nämlich einer Nachbildung einer koreanischen Krone aus Gold. Eine Auszeichnung dieser Art ist sonst bisher noch nie vergeben worden. Bei diesen Olympischen Spielen, 1988, erreichte die DDR - als relativ kleines Land - hinter der Sowjetunion, aber noch vor der USA einen zweiten Platz in der Medaillenwertung.
In der zweiten Hälfte der Achtzigerjahre musste die Welt zwei neue Wörter lernen: Glasnost und Perestroika. Auf Deutsch bedeuten sie "Offenheit" beziehungsweise "Veränderung". Urheber dieser Worte war - wahrscheinlich der "Politiker des Jahrhunderts" - Michail Gorbatschow. Während Reagan auf der anderen Seite vom "Krieg der Sterne sprach und mit seinem SDI das Wettrüsten noch vorantreiben wollte, kam von Gorbatschow ein Signal zur einseitigen Abrüstung. Nach einer Weile begann sogar der Westen an die Ehrlichkeit des Vorschlages zu glauben - und es wurde ein bisschen weniger wahnsinnig, in dieser Welt zu leben.
Außerdem gab Gorbatschow den Ländern des Warschauerpakts die Freiheit, ihr politisches System nach den eigenen Voraussetzungen zu bauen, was im Prinzip bedeutete, dass sie die "Demokratie des Westens" übernehmen konnten. Polen und Ungarn machten den Anfang, was letztendlich zum Auseinanderbrechen des gesamten Ostblocks führte.
Ich glaube, dass Gorbatschow eine Form des "demokratischen Kommunismus" vorschwebte, den man langsam einführen konnte - aber er wurde von links und rechts angegriffen und überwältigt. Zuerst von Kommunisten in Hausarrest gesetzt und dann von der westlichen Marionette, dem Alkoholisten Jelzin gedemütigt, fiel nicht nur diese, seine Vorstellung, sondern auch die Idee von einem neuen, zusammenarbeitenden Europa in Trümmer. Gorbatschow selbst sagte, dass "kein einziger Staatsmann im Westen es verstanden habe, dass das von ihm angestrebte gemeinsame "Haus Europa" auch eine tiefgreifende Erneuerung der westlichen Strukturen, Institutionen und Denkweisen erfordert hätte. Damit hätte man eine völlig neue, einmalige Zukunftsperspektive für den ganzen Kontinent eröffnen können. Aber im gesamten westlichen Staatensystem habe nur ein Triumphalismus ohnegleichen und reine Siegermentalität geherrscht."
Auf jeden Fall ist die Wiedervereinigung Deutschlands nur durch Gorbatschows Wirken möglich geworden. Denn auch wenn man - gerade in der DDR - an der unbeugsamen Parteidiktatur festhielt, wurde die Bevölkerung durch die Geschehnisse in den Nachbarländern ermutigt, auch für die DDR größere Freiheiten zu fordern. Den Anfang machte man in Leipzig mit den Montagsdemonstrationen. Erst waren es tausend Mutige, die damit begonnen hatten, ein paar Wochen später waren sie schon hunderttausend. Und jetzt ging es schnell.
Schon im Mai 1989 öffnete man in Ungarn den "Eisernen Vorhang" nach Österreich. Viele Ostdeutsche flohen nach Westen, während sie Sommerurlaub in Ungarn machten. Auch eine Familie mit Kindern floh mit ihrem blauen Trabi (im Bild links) über die Grenze. Ungarn erklärte im September, dass es ab nun DDR-Bürgern ohne Konsequenzen erlaubt sei, die Grenze nach Österreich zu überschreiten. Bis Ende des Monats hatten 24000 Menschen davon Gebrauch gemacht.
Inzwischen hatten sich auch Tausende auf dem Gelände der Botschaften von Polen und der Tschechoslowakei versammelt, um von dort in die Freiheit zu gelangen. Am 30. September verlautbarte Außenminister Hans-Dietrich Genscher, dass ihre Ausreise bewilligt war. Der Druck auf das Regime wurde von Tag zu Tag größer. Aber noch im Oktober feierte die SED-Spitze in pompösen Formen das vierzigjährige Jubiläum der DDR.
Gorbatschow als Ehrengast mahnte zu Reformen. Aus einer falschen Übersetzung des Dolmetschers entstand das geflügelte Wort, das heute Gorbatschow zugeschrieben wird: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben". Gesagt hatte er jedoch: "Wenn wir zurückbleiben, bestraft uns das Leben sofort." Zwei Wochen später gab Honecker auf. Egon Krenz wurde der letzte Parteichef der SED.
Am 9. November fiel die Mauer, eigentlich nach einem Missverständnis. Um den innerpolitischen Druck ein wenig zu vermindern, hatte man beschlossen, Privatreisen in den Westen ohne Angaben von Verwandtschaftsverhältnissen und Reiseanlässen zu bewilligen. Günter Schabowski, Politbüromitglied, erklärte dies am Ende einer Pressekonferenz. Dies sollte allerdings erst am Tag darauf veröffentlicht werden. Auf die Frage, wann die Regelung in Kraft treten solle, antwortete Schabowski: "Sofort, unverzüglich".
Diese Meldung verbreitete sich rasend schnell. In Ostberlin nahmen es zehntausende DDR-Bürger wörtlich und begaben sich zu den Grenzübergängen, wo sie forderten, nach West-Berlin gelassen zu werden. In der Nacht zum 10. November tanzten die Leute schon auf der Mauer. Ein ganz tragisches Kapitel war abgeschlossen worden.

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2014


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29.11.2014 by webmaster@werbeka.com