Die Wehrburg vom Michelsberg


Michelsberg heißt heute natürlich nicht mehr Michelsberg, sondern Cisnadioara. So wie alle anderen deutschen Siedlungen bekam das Dorf 1918 einen rumänischen Namen, als Siebenbürgen Rumänien angegliedert wurde. Dennoch verteidigen die wenigen Leute deutscher Abstammung ihr Kulturerbe - am Eingang steht immer noch Michelsberg und die Eintrittskarten werden von einer deutschstämmigen, älteren Frau verkauft, die anscheinend froh ist, mit uns in ihrer Muttersprache reden zu können. Sie ist von der Kulturgemeinde der benachbarten Stadt Heltau (heute Cisnadie) angestellt.
Die rumänische Endung "-oara" bedeutet übrigens "Festung". Cisnadioara ist also am ehesten mit "Cisnadienburg" zu übersetzen.
Die Lage der Burg ist hervorragend. Mitten auf einem kreisrunden Hügel thront sie, vom Dorf umgeben.
Daher ist aber der Aufstieg etwas mühsam, wenn man nicht mehr so um die zwanzig ist. Sieben Minuten, meinte die Frau im Tickethäuschen. Diese sieben Minuten brauchen wir mindestens schon als Erholung, als wir uns endlich auf der ersten Bank ausruhen können. Es gibt zwar Stiegen, die das Gehen leichter machen, aber die sind auch ziemlich steil. Naturschön ist der Aufstieg jedoch wirklich. Bei der ersten Ruhepause sind wir schon ein gutes Stück höher als die Kirchturmspitze der evangelischen Kirche im Dorf.
Vor etwa einem Jahrzehnt hat Cisnadioara auch eine rumänisch-orthodoxe Kirche bekommen, die erste, die in diesem Ort gebaut wurde.
Schließlich haben wir die Burg erreicht und betreten sie durch einen schmalen Seiteneingang in der Ringmauer, die vor mehr als 800 Jahren entstand. Insgesamt hatte die Mauer acht Tore, die meisten etwa in dieser Größe. Man hatte sie angelegt, um von verschiedenen Stellen Ausfälle gegen Angreifer vornehmen zu können.
Schon 1223 wurde die Burg an König Andreas II übergeben, der sie allerdings zusammen mit dem umliegenden Land noch im selben Jahr seinerseits dem Magister Gocelinus schenkte. Dieser erwarb sein Seelenheil dadurch, dass er die Burg und das Dorf Zisterziensermönchen vermachte. Im Jahr 1241, als der sogenannte Mongolensturm ins Land brach, war die Burg eine der wenigen befestigten Anlagen, die den Mongolen entweder widerstand oder sie überhaupt abschreckte.
Zu dieser Zeit war der Hügel völlig unbewaldet, weil man eventuellen Gegnern keine Möglichkeit zur Deckung geben wollte.
1474 löste der ungarische König Matthias Corvinus, der damals in Siebenbürgen das Sagen hatte, das Kloster auf. Danach entbrannte ein Streit zwischen Michelsberg und Heltau, wer auf die Burg Anrecht hatte. Sogar der Papst wurde in diesen Streit miteinbezogen. Dem war die Sache aber anscheinend ziemlich egal, denn einmal sprach er sie dem einen Part zu, dann wieder dem anderen.
Aber wer auch immer Besitzer wurde, wurde die Burg vernachlässigt, nicht zuletzt, weil sich das Ende des Mittelalters näherte und Burgmauern gegen die neuen Waffen, wie Kanonen, nicht mehr kräftig genug waren. Das Gute daran ist, dass die Burg auch kaum restauriert wurde und daher ihr damaliges Aussehen gut bewahrt hat.
Seit 1960 ist die Stadt Cisnadie Eigentümer der Burg, nachdem diese eine Zeit lang der evangelischen Kirche gehört hatte. Aber auch die Kirche konnte es sich nicht leisten, die Burg zu renovieren. Daher übertrug man die Rechte der Stadt.
Im Burghof (im Bild der damalige Haupteingang mit dem ehemaligen Torturm) ist heute nur ein Brunnenschacht bewahrt. Natürlich steht auch eine Kirche dort, die aber ebenfalls verfiel. Sie stand sogar einige Jahrhunderte lang ohne Dach da, bevor sie 1787 wieder neu gedeckt wurde. Außerdem sieht die Kirche ein wenig verdreht aus. Nachdem der Chor nach Osten zeigen sollte, das Burgoval aber von Norden nach Süden die größte natürliche Ausstreckung bot, musste man die Kirche quer hinstellen. Sie ist übrigens der älteste romanische Sakralbau Siebenbürgens.
Ihr schönstes, äußeres Prunkstück ist das Westportal. Die vier Säulenpaare folgen den vier Stufen, die zum damaligen Haupteingang führten. Je zwei Blendarkaden sind dem Portal seitlich zugefügt. Um eine größere Distanz und damit eine bessere Ansicht des Haupttors zu erbieten, ist die Burgmauer hier ein Stück weiter hinaus gebaut worden. Man glaubt, dass Magister Gocelinus der Bauherr des Westportals war. Er war ein sogenannter "Lokator", der die neuen Siedler an ihre Bestimmungsorte brachte. Diese "Siebenbürger Sachsen" kamen, wie auch sonst meist, ihrem Namen zum Trotz nicht aus Sachsen, sondern aus der unteren, linken Rheingegend.
Meine persönliche Ansicht zur Namensbildung kommt daher, dass im Zug der Gegenreformation, während, beziehungsweise nach dem Dreißigjährigen Krieg, Adelige mit protestantischem Glauben - ihrer Religionsfreiheit wegen - nach Siebenbürgen kamen. Diese stammten dann sehr wohl zum Teil aus Sachsen.
Das Kircheninnere ist fast leer. Überhaupt hatte die Kirche kaum jemals wirklich Bedeutung. Spätestens im 14. Jahrhundert gab es nämlich im Dorf eine Kirche, die Jungfrau Maria geweiht war.
Es gibt allerdings eine zweifelhafte Sehenswürdigkeit. Am Platz, wo man einen Altar vermuten könnte, ruht heute eine Steinplatte auf vier Kugeln, mit der Inschrift: "Deutsche Helden aus allen Gauen des Reiches". Diese Platte wurde während des Zweiten Weltkriegs aufgestellt. Allerdings waren die Gefallenen des Ersten Weltkriegs damit gemeint.
Denn ihre Namen und Daten sind auf weiteren Steinplatten eingraviert, die den Wänden entlang aufgestellt wurden. Diese Platten werden heute (vermutlich von Vandalen der linken Szene) immer wieder zerstört. Das zeigt wieder, wie dumm die Menschen beider politischen Extreme sind. Denn die Gefallenen des Ersten Weltkriegs hatten doch keine Ahnung von den nationalsozialistischen Verbrechen, die fünfundzwanzig Jahre später geschehen würden ... Außerdem ist auch dies leider ein Meilenstein der wenig glorreichen Geschichte der Menschheit, aber trotzdem ein Kulturerbe.
Beim Weggehen fallen noch große und kleine Steinkugeln auf, die im Hof herumliegen. Damit ist auch eine historische Tradition verbunden, wenigstens wird sie so überliefert. Denn jeder Michelsberger, der heiraten wollte, war verpflichtet, einen solchen Stein auf die Burg hinauf zu befördern. Dort sollten sie dann verwendet werden, um auf eventuelle Angreifer hinunter gerollt zu werden. Man fragt sich, ob die Größe des Steins mit der Größe der Liebe im Verhältnis stand?

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2015


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