Die Altstadt von Prag und dessen Geschichte


Eigentlich müsste Prag als Beinamen "Schwellenstadt" haben, das bedeutet nämlich die tschechische Ableitung "Praha" (prah=Schwelle). Der Sage nach soll die Stammmutter der Přemysliden, Libuss(i)a beziehungsweise auf Tschechisch Libuše, die auch Stadtgründerin von Prag war, ihr diesen Namen geweissagt haben.
Inwiefern diese Sage der Wahrheit entspricht, lässt sich nicht mehr feststellen, denn der erste geschichtlich belegte Landesherr Böhmens war Boňvoi I Přemysl. Andererseits war dieser schon Mitte des 9. Jahrhunderts Herzog von Böhmen und die Přemysliden regierten dann bis Anfang des 14. Jhd.
Die letzten fünf von ihnen waren dann keine Herzöge mehr, sondern schon Könige von Böhmen. Der Name Böhmen ist übrigens von einem Keltenstamm, den Boiern, abgeleitet, die noch vor den Slawen in diesem Gebiet ansäßig gewesen waren.
Am Rande der Altstadt, bei der Metrostation Muzeum, beginnt der Wenzelsplatz, benannt zu Ehren von Wenzel dem Heiligen, dem Nationalheiligen der Tschechen. Er thront, am höchsten Teil der 700 Meter langen Straße, hoch zu Pferd vor einem imposanten Gebäude (Teil des Nationalmuseums), was dem "Platz" einen erhabenen Anstrich verleiht.
Dieser heilige Wenzel war zwischen 921 und 928 oder 935 Herzog von Böhmen. Sein Todestag am 28. September ist heute ein staatlicher Feiertag. Dennoch sollte es noch 300 Jahre dauern, bevor König Wenzel I das Gebiet der Altstadt mit Stadtmauern befestigte und ihm Stadtrechte verlieh. Damals wurde die Stadt noch Mezihrady (=Zwischenburgstadt) genannt, weil sie sich zwischen den zwei Burgen Pražký hrad und Vyšehrad befand.
König Karl I von Böhmen wurde schließlich im Jahr 1355 römisch-deutscher Kaiser und bekam als solcher die Ordnungszahl IV. Logischerweise muss ein Kaiser eine entsprechende Residenz haben, deshalb ist Karl IV als Stadterneuerer und "Vater der Heimat" bekannt.
Er gründete die St.Veits-Kathedrale innerhalb der Prager Burg, er ließ die Karlsbrücke erbauen (beide im Bild oben rechts), legte den Grundstein für die Prager Neustadt und erweiterte die Stadtbefestigungen.
Schon vorher (1344) hatte er erreicht, dass Prag ein Erzbistum wurde und 1348 gründete er die erste Universität in Mitteleuropa.
In der zweiten Hälfte des 14. Jhd. erlebte Prag wahrscheinlich seine größte Blütezeit in der Geschichte. Nach Paris, Gent und Brügge war man zu dieser Zeit die viertgrößte Stadt nördlich der Alpen. Familienzwiste und die Hussitenkriege stürzten Prag jedoch abrupt von der Höhe seiner Entwicklung.

Erst als die Habsburger (die natürlich auch römisch-deutsche Kaiser waren) den Titel als Könige von Böhmen erlangten, und Rudolf II seine Residenz nach Prag verlegte, gewann die Stadt wieder an Ansehen. Rudolf hatte zwar kein großes politisches Talent, aber er war ein großer Kunstliebhaber. Deshalb blühte unter seiner Herrschaft die Spätrenaissance in Prag auf und die Kunstsammlungen wuchsen an Bedeutung. Im hundert Jahre später folgenden Dreißigjährigen Krieg wurden diese Sammlungen von beiden Seiten zum Großteil geplündert.
Unter den Habsburgern fiel auch das Barock in fruchtbare Erde und man sieht heute viele Palais aus diesen beiden Epochen.

Hundert Jahre nach dem Dreißigjährigen Krieg folgten die Angriffe des Preußenkönigs Friedrich II auf Österreich - und Prag lag wieder mitten im Getümmel. Dem erpresserischen und wortbrüchigen Friedrich gelang es im Jahr 1757, die vier Städte Prags sechs Wochen lang zu belagern, im Versuch sie auszuhungern - was allerdings nicht gelang. Die Prager Bevölkerung stand voll hinter Maria Theresia von Österreich.
Erst 1784 schlossen sich die vier Teile von Prag, Altstadt, Hradschin, Kleinseite und Neue Stadt offiziell zusammen und bildeten eine Einheit. Im 19. Jahrhundert erfolgte durch die Industrialisierung ein starker Zuzug aus der ländlichen Umgebung. Dies waren vor allem Slawen, sodass die deutschsprachige Bevölkerung in Prag im Jahr 1855 erstmals seit dem Mittelalter die Mehrheit verlor.
Andererseits trug das neue Nationalbewusstsein dazu bei, dass jetzt vor allem die tschechische Kunst gefördert wurde, was sich anhand der aktiven Komponisten, Maler, Schriftsteller, usw. deutlich nachverfolgen lässt. Kafka, Rilke, Werfel, Havránek, Šimek, Smetana, Dvořák - um nur die allergrößten Namen zu nennen.
Doch auch der deutschsprachige Teil der Bevölkerung kam im 19. Jhd. noch auf seine Kosten. Das Rudolfinum am Ufer der Moldau wurde in den Jahren 1876 - 1884 von Josef Zitek und Josef Schulz erbaut.
Namensgeber war in erster Linie Kronprinz Rudolf von Habsburg, der Sohn von Kaiser Franz Joseph und Elisabeth; man ehrte damit jedoch zugleich auch den "Prager Habsburger", Kaiser Rudolf II.
Heute findet die Tschechische Philharmonie ihr Zuhause in den vielen Konzertsälen, aber es gibt hier auch eine Kunstgalerie, die zeitgenössische bildende Kunst zeigt. Zwischen den Weltkriegen und 1945-1946 war hier der Sitz des tschechoslowakischen Parlaments.
Auch wenn der Nationalismus der Tschechen vor und im Ersten Weltkrieg verständlich ist, was auch schließlich zur Staatenbildung der Tschechoslowakei führte, ist die ethnische Säuberung im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg nicht zu entschuldigen. Dieser fielen in zwölf Tagen 27.000 deutschsprachige Zivilisten zum Opfer. Weitere 2,5 Millionen wurden aus dem Land hinausgeworfen.
Nach 45 Jahren kommunistischer Herrschaft wurde Prag schließlich am 1. Jänner 1993 Hauptstadt der Tschechischen Republik. Allem Nationalismus zum Trotz war man aber sehr bemüht, in die Europäische Union aufgenommen zu werden, die den Vielvölkerstaat von vor hundert Jahren noch bei weitem übertrifft.


Innerhalb von wenigen Gehminuten kommt man vom alten, gotischen Pulverturm an Ausschmückungen im Jugendstil vorbei und steht plötzlich vor einer modernen Kreation aus Schlüsseln(!), die von oben nach unten gelesen das Wort "revoluce" (Revolution) bilden.

Der Charm der Altstadt besteht vielleicht vor allen Dingen aus dem Nebeneinander von Bauwerken aus verschiedenen Epochen und einer "laid-back"-Einstellung der Bevölkerung, die dem westlichen Stress noch nicht so heimgefallen ist, wie viele andere Großstädte unserer Zeit.
Auf jeden Fall sollte man sich die Zeit nehmen, in Ruhe durch die Altstadt zu schlendern, um die Atmosphäre zu genießen. Dabei sollte man nicht vergessen, ab und zu den Blick zu heben, um immer wieder überrascht zu werden. Hinter mancher barocken Fassade verbergen sich außerdem noch gotische Mauern, die ihrerseits auf romanischen Fundamenten ruhen ...


Copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2010



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