SAGENHAFTES WIEN

Der Stock im Eisen


Franz, ein Schlosserlehrling, hatte von seinem Meister einen besonderen Nagel gestohlen (Nägel waren zu dieser Zeit noch kostbare Dinge). Dieser sollte für den Bau des Jagdschlosses von Markgraf Leopold dem Heiligen dienen. Er hatte ihn nicht aus Bösartigkeit, sondern eher als Lausbubenstreich mitgehen lassen. Auf dem Weg zurück zur Stadt verlief er sich aber im Wald.

Schließlich, völlig erschöpft, trieb er den Nagel in den Stamm eines Baumes, um wenigstens eine Orientierungshilfe zu haben. Da hörte er plötzlich eine Stimme und sah zu seinem Schrecken seinen Meister kommen. Der Mann gab seinem Lehrling eine Tracht Prügel für den Diebstahl, behauptete aber außerdem, dass der Baum ihm gehöre. Er wolle jedoch von beiden bösen Taten absehen, wäre der Junge imstande, den Stock in Eisen zu schlagen, das heißt ein Band um den Baum zu schmieden und mit einem Schloss zu versehen, das nicht geöffnet werden könne. Das würde dann nämlich den Baum davor schützen, gefällt zu werden. In seiner Verzweiflung sagte der Junge zu, aber bald sah er ein, dass er mit dieser Aufgabe völlig überfordert war.

"Zum Teufel damit", fluchte er, als wieder einer seiner Versuche fehlgeschlagen war und er sein Werkzeug auf den Boden schleuderte. Vielleicht hätte er das aber besser nicht getan, denn plötzlich stand der Leibhaftige neben ihm und fragte, ob er denn Hilfe brauche.

Franz war dumm genug, sich auf einen Pakt mit dem Teufel einzulassen. Wie in diesen Fällen meistens der Fall war, musste er dafür seine Seele einsetzen - bekam aber eine Hintertür als Ausweg. So lange er jeden Sonntag die Messe besuchte, würde das seine Seele eine Woche lang schützen. Der Teufel half ihm dann, solch ein Eisenband zu verfertigen und auch ein Schloss zu machen, das niemand öffnen konnte. Den Schlüssel dazu nahm er auch sicherheitshalber gleich mit.

Als Lohn für seine Leistung wurde Franz nun zum Gesellen befördert. Er begab sich auf Wanderschaft, wie es eben so üblich war, aber er sah dazu, das er sonntags immer irgendwo der Messe beiwohnen konnte. Als er nach einigen Jahren nach Wien zurückkam, hatten viele Leute versucht, einen Schlüssel für das Schloss zu machen, aber vergeblich. Die Stadtherren hatten auch einen Preis ausgeschrieben, für denjenigen, dem es gelingen sollte.

Franz hatte inzwischen so viel gelernt und nicht zuletzt auch die Erinnerung daran, wie das Schloss aufgebaut war, dass auch er einen Versuch wagte. Und siehe da, es gelang ihm. Dies wiederum bescherte ihm nicht nur den Preis der Stadt, sondern auch die Meisterwürde.

Als Meister bekam Franz viele Aufträge und erarbeitete sich mit der Zeit ein kleines Vermögen. Aber am Sonntag vergaß er nie, zur Messe zu gehen. Bis ... ja, bis er eines Tages die Nacht durchzecht hatte und auch am Morgen noch zusammen mit dem Schmied und dem Schuster dem Würfelspiel huldigte. Er hatte unglaublich viel Glück und gewann, was er nur gewinnen konnte.

Plötzlich fiel es ihm siedendheiß ein, dass ja Sonntag war. Er ließ seinen Gewinn liegen und eilte über den Platz zur nahen Kirche. Doch als er eintrat, hörte er gerade den Pfarrer die Schlussworte sprechen: "Ite, missa est." Und sobald er wieder aus dem Kirchentor getreten war, erfüllte ein starkes Sausen die Luft. Der Schlossermeister wurde in die Höhe gerissen und seither nie mehr gesehen.
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Im Mittelalter war es Brauch, dass Handwerksburschen, die auf Walz gingen, einen Nagel in einen Baum schlugen, um sicher zu stellen, dass sie heil wieder zurückkehrten. Solche Nagelbäume waren besonders in Ungarn und Siebenbürgen beliebt. Der Wiener Nagelbaum ist jedoch der älteste, heute noch bewahrte.

Der "Stock im Eisen" ist an der Ecke Kärntner Straße und Graben - hinter Glas geschützt - zu sehen.





Copyright Bernhard Kauntz, Västerås, Schweden 2014



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