Wien 21., Bisamberg


Bevor die Aufschreie markerschütterndes Niveau in der Höhe des Bisambergs erreichen, lassen Sie mich sagen, dass ein großer Teil des 359 m hohen Bisambergs in Niederösterreich liegt. Dennoch befinden sich auch Teile im 21. Bezirk von Wien. Und da meine Wanderung von Strebersdorf ausgeht, das ganz bestimmt zu Wien gehört, habe ich einfach den ganzen Berg für Wien annektiert. Es sind ohnehin hauptsächlich Wiener, die ihn besteigen.

Erdgeschichtlich gehört der Bisamberg zu den Bergen des Wienerwalds. Das kann man am geologischen Aufbau erkennen. Warum die Donau es vorzog, den Bisamberg abzuschneiden, statt ihn zu umfließen, kommt vermutlich daher, dass das Wiener Becken absinkt. (Ja, auch heute noch, mit 1-2 mm pro Jahr. Darüber, ob das bedeutet, dass Wien dem Untergang geweiht ist, will ich mich aber nicht äußern. Das gehört jedoch ohnehin nicht hierher.)
Ein Wort noch zu den 359 Metern des Bisambergs. So hoch ist er, von der Meereshöhe aus gerechnet. Wenn man aber bedenkt, dass die umliegende Gegend auch eine Meereshöhe von 170 - 180 Metern hat, ist der Berg plötzlich nur mehr halb so hoch ...
Andererseits genügt diese Hälfte vollkommen, um ordentlich warm zu werden, wenn man hinaufgehen will. Und da kommen wir jetzt endlich zum Thema. Ich ziehe allemal einen netten Stadtspaziergang mit ein paar Lokalbesuchen vor, aber manchmal werde ich auf Wanderungen verschleppt, da hilft mein ganzes Sträuben nichts.

Und sofort, wenn man in Wien in die Natur kommt, geht es bergauf ... Anfangs macht das nicht so viel, da gibt es noch gepflasterte Straßen, die sind an einem warmen Tag recht kühl und die Weinkeller an beiden Seiten rufen auch recht angenehme Assoziationen hervor. Dazu gibt es noch diverse Versprechungen: "Wenn wir da hinauf kommen, gibt es dort einen Heurigen, da können wir uns hineinsetzen und ausrasten." Außerdem wird die informative Seite der Wanderung hervorgehoben, weil an gewissen Stellen Fässer mit Erklärungsschildern aufgestellt sind. Das ist nun wirklich nicht uninteressant, denn diese Schilder versehen mich schließlich mit viel Material, das ich dann hier verwende.

Bevor wir jedoch noch hinauf kommen, sieht die Sache anders aus. Vorbei ist es mit dem schattigen Laubdach, jetzt brennt die Sonne mit nie geahnter Kraft herunter (kein Wunder, wir nähern uns ihr ja mit jedem Schritt) und als wir endlich beim Heurigen ankommen, zeigt es sich, dass heute Ruhetag ist, oder dass er erst in ein paar Stunden aufsperrt ... Da hilft auch die - zugegebenerweise hübsche - Ansicht der Weingärten nichts, die Enttäuschung ist größer als der ästhetische Genuss. Aber hilft es? Preisgegeben mitten im Grünen hat man nur den Radiosender vor Augen, der ganz oben (meint man) am Berg steht.

Es ist dieser Sendemast, - und nicht der Donauturm, wie viele glauben - der das höchste Bauwerk Österreichs ist. Mit seinen 265 Metern schlägt er Letzteren noch um 13 Meter. Seit 1933 hat er Rundfunksendungen ausgestrahlt und macht es - begrenzt - auch heute noch. Und da oben steht er herausfordernd.

"Na komm, das Stückerl schaffen wir schon noch", heißt es. Mit klebender Zunge und zusammengebissenen Zähnen nickt man gottergeben und schöpft wieder Hoffnung, als man hört, dass es schneller geht, "wenn wir hier die Abkürzung nehmen und nicht auf der Straße gehen".
Schon wieder ein Reinfall. Die Abkürzung erweist sich als ein vom Regenwasser ausgeschwemmter Hohlweg, auf dem ein normales Gehen unmöglich ist. Außerdem geht es natürlich - wie auch nicht - bergauf, manchmal ziemlich steil und manchmal noch steiler. Andererseits - es ist erstaunlich, wie die Kraft des Wassers das Terrain umformen kann, sodass man hier im Kleinen sieht, wie in geologischer Zeit ganze Täler entstanden sind.

Und endlich steht man dann am Fuß des Senders. Aber gibt es hier vielleicht ein Wirtshaus? Nein, natürlich nicht ...

"Da müssen wir schon noch ein Stückerl gehen", wird einem erklärt. Na schön, jetzt geht es wenigstgens bergab, das kann ja nicht so anstrengend sein. Frohlockend setzt man zum Abstieg an, wird aber nach fünfzig Metern - es ist nicht zu glauben - schon wieder bergauf geführt. Die Erklärung, dass es auf den Wiesen bis zu 600 verschiedenen Gräsern gibt und am Bisamberg 18 verschiedene Orchideen wachsen, wie auch, dass der Bisamberg schon seit der Steinzeit bewohnt ist, ist zwar interessant, aber ich bin am Verdursten und nur begrenzt aufnahmefähig. (Die Venus aus Langenzersdorf auf dem Fassbild weiter oben ist übrigens auf zirka 4900 vor unserer Zeitrechnung datiert, also rund 7000 Jahre alt.)
Das Eichendorff-Denkmal, vor dem wir plötzlich stehen, oder besser gesagt, die Geschichte dieses Denkmals erheitert mich aber wesentlich, sodass ich sogar kurzzeitig auf meine prekäre Lage vergesse.
An dieser Stelle wurde nämlich im Ersten Weltkrieg (1915) ein Heldendenkmal errichtet - in Form eines 6 Meter hohen Obelisken. Als der Krieg dann weniger heldenhaft endete, verfiel auch dieses Denkmal. 1957 wurde dann auf einem Rest des Obelisken Josef von Eichendorff geehrt, der im 19. Jhd. mehrmals über den Bisamberg gegangen sein soll. Oh, wie erfreulich! Kultur statt Krieg und Zerstörung! Die Welt wäre viel schöner, wenn sie statt jedem Militär einen Dichter und statt jedem Politiker einen Mann der Wissenschaft auf Denkmälern ehren würde ...

Und als ob mit dieser Entdeckung die Sonne eben eine Wolkenbank durchbrochen hätte, kommt nach einer Weile ein Gasthaus in Sicht, wo ich meine müden Beine unter einen Tisch stellen kann. Nach dem ersten Schluck des gespritzten grünen Veltliners, der hier auf dem Lössboden besonders gut wächst, wie übrigens auch der Zweigelt, bin ich wieder voll aufnahmebereit. In einem Prospekt lese ich, dass die Winzer immer schon um Jahreswende wussten, wie der Wein des kommenden Jahren werden würde:
"Zu St. Stephan muss es windstill sein, soll der nächste Wein gedeih'n." Und:
"Ist Dreikönig hell und klar, gibt's viel Wein in diesem Jahr."
Dass der Wein verrückt macht, weiß man schon lang, aber ich traue meinen Ohren nicht, als ich einen Plan auf diesem Prospekt entdecke und mich sagen höre: "Zur Elisabethhöhe ist es aber nicht so weit. Da können wir doch auch noch hingehen?"
Womit ich allerdings wirklich nicht gerechnet hatte, das war, dass es tatsächlich schon wieder (oder noch immer) bergauf geht ... Die Elisabethhöhe ist dann aber endgültig der höchste Punkt des Bisambergs - und als ich hinauf komme und die Aussicht auf das gegenüberligende Stift Klosterneuburg habe, samt dem umgebenden Städtchen, wo ich die Sommer meiner Kindheit verbracht habe, war es mir die Mühe wert.
Die Elisabethsäule, nach der die Anhöhe ihren Namen bekommen hat, wurde von einem Korneuburger Frauenkommittee in Auftrag gegeben und am 11. Juni 1899 eingeweiht, in Erinnerung an die Ermordung der Kaiserin im Jahr davor. Ob "Sisi" jemals hier war, ist unbewiesen.
 
Die Tafel besagt, dass der Volksmund jedoch darüber mehrere Versionen kennt. So soll "Sisi" schon vom Brautschiff aus, mit dem sie nach Wien kam, den Bisamberg bewundert und den Wunsch geäußert haben, ihn zu besteigen. Weiters soll die Kaiserin 1856 einem Manöver beim Bisamberg beigewohnt haben und schließlich den Berg 1857 mit ihren Hofdamen bestiegen haben.
Wir hatten den Berg jetzt nicht nur bestiegen, sondern nahezu überquert, daher war es einfacher, auf dieser Seite hinunter zu gehen, auch wenn der Abstieg ohne Zweifel steiler war. Aber dann konnten wir auch noch an der Maria Lourdes-Grotte vorbei gehen, die dann am Weg lag.
Wir dachten schon, das wir daran vorüber gegangen waren, denn wir waren fast schon in der Ortschaft Bisamberg angelangt, als wir rechter Hand doch noch die Grotte fanden.
Neugierig, wie ich bin, folgte ich ein paar Stiegen den Berg hinauf und fand dort, "im ersten Stock", zu meiner Überraschung eine ganze Freilichtkirche. Nun bin ich kein besonders kirchlicher Mensch - dazu hat mir die Kirche zuviel auf dem Kerbholz, durch die Jahrhunderte gesehen. Ich bin auch nicht unbedingt davon überzeugt, dass die christliche Religion das einzig Wahre ist - aber ich muss zugeben, dass mich die Atmosphäre hier beeinflusst hat. New Age-Anhänger würden das vielleicht als Kraftquelle bezeichnen; ich suche nach keiner Erklärung, ich weiß aber, dass ich dieses Gefühl in ähnlichem, wenngleich auch stärkerem Maß, sowohl auf der Akropolis in Athen, wie auch in der Peterskirche in Rom erfahren habe.
Eine Tafel besagt, dass die Bisamberger Bevölkerung in den Jahren 1933 bis 1935 eine Höhlung im Berg zu dieser Grotte umbauten, die der Grotte in Lourdes in Frankreich nachempfunden ist. An den Wänden sind Marmortafeln mit Fürbitten oder Danksagungen angebracht, die sich über den gesamten Zeitraum der Existenz dieser Grotte hinziehen.

Schloss Bisamberg, 1568 erbaut, das sich heute in Privatbesitz befindet, wäre eine letzte Station dieser Tour gewesen. Im dazugehörigen "Schüttkasten", dem ehemaligen Schlosshof, gibt es heute ein Restaurant. Dort findet gerade eine Hochzeit statt, sodass ich nicht einmal Fotos machen will.

Aber es genügt auch so und zum Glück gibt es auch andere Gaststätten in der Nähe - denn das nächste Viertel Gspritztn habe ich mir inzwischen wieder redlich verdient.


copyright Bernhard Kauntz, Västerås 2007



Zurück zu den
oder zum von


Seite erstellt am 3.9.2007 by webmaster@werbeka.com