Wien 1., Judenplatz


Der Judenplatz war das Zentrum der ersten jüdischen Versammlung in Wien, die es schon im 13. Jhd. hier gab. Hier stand die erste Synagoge, das Haus des Rabbi und außerdem ein Spital. Insgesamt waren es etwa 70 Häuser in denen Anfang des 15. Jhd. ungefähr 800 Einwohner lebten.

Die Juden waren nicht unwillkommen, vor allem in den herrschenden Schichten, denn sie hatten die Möglichkeit Darlehen zu geben, während es den Christen untersagt war, für geborgtes Geld Zinsen zu verlangen. Deshalb gab es die jüdischen Siedlungen oft in der Nähe des Hofes. Die Juden finanzierten manchen Feldzug und verdienten gut, wenn dieser erfolgreich war. Natürlich liehen sie auch dem Rest der Bevölkerung Geld - oft gegen ein Pfand, das der Schuldner dann nicht auslösen konnten. Das war den Christen - unlogischerweise - oft ein Dorn im Auge. Oder die Herrscher verloren mehrere Feldzüge und standen in unbezahlbaren Schulden - dann musste man auch eine Lösung finden. So kam es zu den beklagenswerten Ereignissen in den Jahren 1420/21.
Herzog Albrecht V ließ 1420 alle Juden in Österreich gefangennehmen. Kinder unter 15 Jahren wurden zwangsgetauft, die ärmeren Erwachsenen wurden in Boote gesetzt und mussten die Donau hinuntertreiben. Die Wohlhabenden verblieben im Gefängnis, wo im folgenden Winter viele starben oder Selbstmord begingen. Am 12. März 1421 verurteilte der Herzog sämtliche Juden zum Tode.
Ihnen wurde ein Hostienfrevel in Enns vorgeworfen, wie auch, dass sie christliche Kinder ermordeten und nicht zuletzt, dass sie an Waffenlieferungen für die Hussiten beteiligt waren. Noch am selben Tag wurden mehr als 200 Juden in Wien verbrannt. Inwiefern einige schuldig waren, lässt sich nicht feststellen. In jeder größeren Gruppe gibt es zwar Verbrecher, aber ganz sicher waren die meisten nicht schuldig.
Das ist tragisch, das kann man jedoch nicht mehr ungeschehen machen. Fremdenhass scheint der Menschheit angeboren zu sein. Das ist heute genauso und nicht nur in Wien der Fall. Dagegen ist es beschämend, dass die Tafel am Jordanhaus - wenn auch mit lateinischen Text - sich heute, 600 Jahre später, noch immer dort befindet. Sie besagt wörtlich (Übersetzung von Wikipedia): "Durch die Fluten des Jordan wurden die Leiber von Schmutz und Übel gereinigt. Alles weicht, was verborgen ist und sündhaft. So erhob sich 1421 die Flamme des Hasses, wütete durch die ganze Stadt und sühnte die furchtbaren Verbrechen der Hebräerhunde. Wie damals die Welt durch die Sintflut gereinigt wurde, so sind durch das Wüten des Feuers alle Strafen verbüßt."
Diese Tafel zu entfernen wäre viel besser als alle Schönrederei von Kardinal Schönborn, die auch gleichzeitig die ethnische Säuberung wärend des Zweiten Weltkrieges bedauert. Ich glaube nicht, dass die Parole "Niemals vergessen!" das richtige Mittel ist. Ich glaube, dass all diese Dinge den Hass auf der Gegenseite nur vergrößern.
Daher bin ich auch kein Freund des Holocaust-Mahnmals, das auf dem Judenplatz steht. Es wurde von Rachel Whiteread erschaffen und stellt eine Bibliothek dar. Alle Bücher sind jedoch mit dem Rücken nach innen gewendet - und hinein kann man nicht, auch wenn ein Eingang angedeutet ist. So weit, so gut. Dass aber auf den Bodenplatten die 41 Orte in Österreich eingemeißelt sind, in denen Juden in der Zeit des Nationalsozialismus ihr Leben verloren - das ist schon wieder zuviel. Wenigstens so lang im Gazastreifen und im Westjordanland nicht alle Orte verzeichnet werden, in denen Palästinenser ihr Leben verloren haben und noch immer verlieren.
Ich habe lange überlegt, ob ich diese Dinge auf meinen Seiten aufgreifen soll. Aber ich versuche, überall geschichtlichen Hintergrund zu geben - und das ist eben Geschichte. Nur hoffe ich, dass die Beschreibung ausgewogener ist, als die Debatte im Allgemeinen geführt wird. Denn nur Objektivität kann eine zukünftige Lösung bringen - nicht nur in der Judenfrage, sondern in jeder Beziehung, was Ausländerfeindlichkeit betrifft.

Doch nun wollen wir uns auf dem Judenplatz ein wenig umsehen.
Das Haus "zum großen Jordan" (ich habe mir erlaubt, die Anstoß erweckende Tafel zu löschen) ist eines der ältesten in Wien. Bis 1421 wohnte hier ein gewisser Hocz. Später kam es in Besitz von einem Georg Jordan, der das Gebäude 1497 erneuerte und das Relief von der Taufe Jesu anbringen ließ. Darunter setzte er eine Tafel mit den Wortlaut: "A(nn)o 1421 warden die Juden hie verbrendt." Danach wurde Jörg Jordan Eigentümer - und er ließ die heutige Tafel die alte ersetzen. Doch nicht genug der Religionsstreitigkeiten ... 1560 erhielten die Jesuiten das Haus, die hier und in zwei Nachbarhäusern ein Konvikt gründeten. Sie wurden aber ihrerseits nur gut hundert Jahre später vom lutherischen Magistrat daraus vertrieben und mussten das Haus an die Stadt verkaufen. Und alle predigen sie die Nächstenliebe ...
Ab 1684 war das Haus in Privatbesitz und hieß "Jordanhof".
Am Haus der Gastgewerbeschule (Nummer 3-4) hängt ein Schild, das besagt, dass Mozart im Jahr 1783 hier wohnte. Damals hieß das Haus noch Nummer 244.
Im Misrachi-Haus (Nummer 8) befindet sich das jüdische Museum, unter anderem mit Ausgrabungen der alten Synagoge aus der Zeit vor 1421.
Mitten am Platz steht eine Statue von Gotthold Ephraim Lessing.
Dieser begnadete Verfasser schuf schon im 18. Jhd. mit seinem "Nathan der Weise" ein Werk, das die Religionstoleranz hervorhob. Aber welche machtbesessenen Politiker oder Religionsfanatiker haben schon Zeit um sich mit Literatur zu beschäftigen? Im Gegenteil - ein österreichischer Landeshauptmann rühmte sich öffentlich, in seinem Leben nur ein einziges Buch gelesen zu haben ...

Aber ich glaube, ich schweife schon wieder vom Thema ab. Das letzte Haus, das ich Ihnen auf diesem Platz vorstellen will, ist die ehemalige Böhmische Hofkanzlei. Sie befand sich im Haus Nummer 11. Ursprünglich Anfang des 18. Jhd. von Fischer von Erlach errichtet, wurde das Gebäude später um- und ausgebaut. Die Böhmische wurde mit der Zeit mit der Österreichischen Hofkanzlei zusammengelegt und beide wurden 1848 zum Innenministerium. Dieses befand sich bis 1923 in diesem Gebäude. Damals war es die Rückseite des Hauses, die zum Judenplatz gewendet war, der Eingang befand sich in der Wipplingerstraße. Bei einem Umbau im vorigen Jahrhundert wurde jedoch der Haupteingang hierher verlegt. Heute gastiert hier der Verwaltungs- bzw. Verfassungsgerichtshof.


© Bernhard Kauntz, Västerås 2008




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Seite erstellt am 10.10.2008 by webmaster@werbeka.com