Michelangelo in Wien - Die Sixtinische Kapelle


Als ich das letzte Mal in Wien war, fand dort gerade eine Europapremiere statt. Man hatte die Bilder der Sixtinischen Kapelle fotografiert und in Originalgröße ausgestellt. Wer kennt nicht das Bild, auf welchem der lebensbringende Funke vom Zeigefinger Gottes auf den von Adam überspringt?

Man muss nicht gläubig sein, um die “göttliche” Malerei Michelangelos bewundern zu können. Und hier, in der Votivkirche in Wien, hatte man sämtliche Bilder des Meisters vor Augen – besser noch als im Rom, denn dort beträgt der Abstand zur Decke ganze 20 Meter, hier konnte man die Bilder auf Armeslänge betrachten.
Gleich neben der Erweckung Adams gibt es die Erschaffung der Eva. Hier liegt Adam schlafend, oder in Narkose, denn Gott muss ihm ja eine Rippe entziehen, um daraus die Frau erschaffen zu können. Und dieses Bild ist schon viel weniger bekannt.

Dass man die Votivkirche als Ausstellungsort gewählt hat, hat nicht allein religiöse Gründe, sondern vor allem auch platzmäßige. Dei Ausmaße der Sixtinischen Kapelle betragen 40 x 14 Meter, dazu kommen aber noch die Deckengemälde, die ja auch auf eine Wand gehängt werden mussten. Die Votivkirche mit 82 x 28 Meter war ein idealer Platz dafür.
Wir kommen später auf die Deckengemälde zurück und sehen uns jetzt die Bemalung der Seitenwände an.

 

Diese besteht aus bekannten Propheten und Sibyllen. Eine Sibylle war eine Wahrsagerin, die ebenso wie die Propheten die Zukunft voraussagten. Im Bild oben sehen wir links Jesaja, einer der wichtigeren Propheten des Alten Testaments. Dort steht er unter den Prophetenbüchern auch an erster Stelle. Er war der Erste, der das Kommen des Messias voraussagte. Oben rechts sehen wir ein Abbild der Delphischen Sibylle. Dass Delphi ein wichtiger Ort der Weissagung war, ist uns ja auch aus der antiken Geschichte bekannt.
Über den Bögen der Seitenwände hat Michelangelo eine künstliche Architektur in Dreiecksform gemalt, die als Übergang zur Decke dient und die Deckengemälde daher stärker hervorhebt.

 

In diese künstlichen Zwickel hat Michelangelo Bilder der Vorfahren Jesu gemalt. Interessant ist, dass er die Vorfahren als Kinder gemalt hat, meist zusammen mit ihren weniger namenskundigen Eltern, die aber logischerweise auch zu den Vorfahren zählen. Im Bild oben rechts sehen wir Osias oder Asarja, der aus dem Geschlecht König Davids hervorging und im 8. Jahrhundert vor Christus in Juda selbst König war. Rechts sieht Salmon seiner Mutter beim Stoff schneiden zu. Auch er kam aus dem Hause David.
Ein Wort des Dankes sei auch an Erich Lessing gerichtet, dem wir diese Bilderserie verdanken, als er sie bei der Renovierung der Gemälde auf Gerüsten aus der Nähe fotografieren konnte.
Aber kehren wir zurück zu den Deckengemälden.

Das nächste Bild besteht aus zwei Teilen – Ursache und Wirkung. Links sehen wir, wie Eva den Apfel vom Baum der Erkenntnis entgegennimmt. Interessant ist, dass Michelangelo die Schlange als Frau darstellt. Im rechten Teil des Bildes verjagt Erzengel Michael die beiden Sünder aus dem Paradies. Auch dass es auf dem Bild keine Feigenblätter gibt, fällt auf.
Dann gibt es eine Serie von drei Bildern über Noah, bei der man sich nicht ganz sicher ist, warum Michelangelo diese gemalt hat. Sie zeigt die Trunkenheit des Noah, die große Flut, die ich hier im Bild wiedergebe und schließlich das Opfer Noahs nach der Flut.

Persönlich glaube ich, dass der Noah-Zyklus die drei Bilder am anderen Ende der Decke spiegelt, die die Schöpfung beschreiben – nämlich die Scheidung von Licht und Finsternis, die Trennung von Himmel und Wasser, sowie die Erschaffung von Sonne, Mond und den Pflanzen. Von letzterem Bild zeige ich unten die rechte Seite. Dieses Bild ist zweigeteilt – auf der anderen Seite hat Michelangelo die Erschaffung der Pflanzen dargestellt. So sagt es der Katalog. Ich glaube eher, dass Michelangelo dem Text der Bibel gefolgt ist und hier “die Schöpfung des Himmels und der Erde” darstellte.

Man sollte aber nicht nur die kraftvollen Figuren Michelangelos bewundern, sondern auch auf die kleinen Details achten. So sind zum Beispiel die Knaben auf der Sonnenseite nackt, während sie in der Nähe des kalten Mondes bekleidet sind.
Wir verlassen die neun Gemälde an der Decke und sehen uns abschließend noch einen der zwei Zwickel an, die etwa doppelt so groß sind, wie alle anderen. Auf einem hat David gerade Goliath bezwungen und steht im Begriff, seinem Gegner den Kopf abzuschlagen, während auf dem anderen, das ich hier zeige, der abgeschlagene Kopf des Holofernes schon ein Fakt ist und Judith mit Hilfe einer Dienerin das Haupt davonträgt.

Insgesamt beträgt die bemalte Fläche der Sixtinischen Kapelle etwa achthundert Quadratmeter – auf jedem einzelnen davon kann man den einzigartigen Stil dieses Meisters bewundern, der sich selbst eigentlich in erster Hand als Bildhauer sah. Michelangelo Buonarotti ist ohne Zweifel einer der Allergrößten.

Oder, wie es ein anderer der Allergrößten ausdrückte, nämlich Johann Wolfgang Goethe: “Ohne die Sixtinische Kapelle gesehen zu haben, kann man sich keinen anschauenden Begriff machen, was ein Mensch vermag.”

© Bernhard Kauntz, Västerås 2017


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