VOR 100 GENERATIONEN

560 v. Chr.


Alyattes starb. Sein Grab liegt nördlich von Sardes; es wurde 1854 ausgegraben. Es wird auch manchmal als eines der Weltwunder der Antike angesehen. Alyattes Sohn Krösus wurde im Alter von 35 Jahren König von Lydien. Krösus vergrößerte sein Einflußgebiet und war legendär reich. Er soll, laut einigen Quellen, der erste gewesen sein, der Münzen geprägt hat. Das hängt aber wahrscheinlich mit den Legenden über seinen enormen Reichtum zusammen, denn wenn auch die ersten Münzen in Lydien geprägt wurden, geschah das schon gute hundert Jahre vor Krösus, unter Gyges, einem der früheren lydischen Könige. Zu unserer Zeit war das Prägen von Münzen auch in Griechenland schon ziemlich allgemein bekannt.
Einer der Staaten, die in das Königreich Lydien eingegliedert wurden, war Bithynien, südlich vom Schwarzen Meer belegen, in einem bergreichen Gebiet mit großen Wäldern und fruchtbaren Tälern. Die Bithynier waren früher aus Thrakien eingewandert.

König Arkesilaos II regierte in Kyrene in Libyen. Er ist uns dadurch bekannt, daß sein Name auf einer Vasenmalerei aus Kyrene aufscheint. (Die Arkesilaos-Vase).

Peisistratos nahm die Akropolis ein und machte sich zum Diktator von Athen. Es gibt verschiedene Angaben der genauen Jahreszahl, laut Aristoteles soll es 31 Jahre nach Solons Zeit als Archont gewesen sein. Wie auch immer, im Jahr der Machtübernahme sollte Comeas das Amt des Archonten ausüben. Aristoteles erzählt auch, wie es zuging, als Peisistratos die Macht ergriff. Er soll sich selbst verletzt und behauptet haben, daß seine Feinde ihm die Wunden zugefügt hätten. (Diese Taktik kennen wir aus dem Krieg unserer Tage - in Bosnien, wo man auch auf sein eigenes Volk schießt, und es dann dem Gegner in die Schuhe schiebt, um das Mitleid der Umwelt für sich zu gewinnen.) Aus diesem Grund verlangte Peisistratos nach einer Leibgarde. Solon soll sich dagegen ausgesprochen haben, weil er begriff, was im Gange war, aber das Volk bewilligte dennoch die Leibwache. Und mit Hilfe dieser bewaffneten Männer gelang es dann Peisistratos die Akropolis zu erobern.
Hier folgt ein Zitat, die Reaktion Solons betreffend, aus den Werken von Aristoteles über die Konstitution in Athen, übersetzt von Frederic G. Kenyon:
"But when all his words availed nothing he carried forth his armour and set it up in front of his house, saying that he had helped his country so far as lay in his power (he was already a very old man), and that he called on all others to do the same."

Als Diktator war Peisistratos doch milde und wohlwollend. Er senkte die Steuern und erschuf soziale Vorteile für Alte, Behinderte und Arme. Er vereinte Attika, befreite Sigeum, das den Hellespont kontrollierte, und eroberte das thrakische Chersonesos. Er war ein Gönner von Literatur und Kunst, schmückte Athen mit vielen schönen Gebäuden und war vermutlich auch für die erste niedergeschriebene Version von Homers Werken verantwortlich. Er, bzw. Polykrates auf Samos sollen die ersten Griechen gewesen sein, die eine Bibliothek anlegten. Diese bestanden aus Papyrus- oder Pergamentrollen, die aufgestellt, oder manchmal auch in eigenen Behältern bewahrt wurden.
Als Folge der Machtübernahme des Peisistratos floh die Aristokratie aus Athen. Teile der Aristokraten, angeführt von Megakles, der seine Anhänger entlang der Küste hatte, und Lycurgus, mit Unterstützung vor allem in den Ebenen, waren eigentlich die einzigen, die Peisistratos nicht mochten. Peisistratos fand seine Gönner unter den Bewohnern des Hochlandes und unter denen, die durch Solons Schuldenamnestie ihr Geld verloren hatten.

Eine etruskische Steingrabkammer, die heute noch erhalten ist, wurde bei Ischia di Castro gebaut. Die einzelnen Räume des Grabes hatte man aus dem Berg herausgehauen, die Funde darin zeigen auf die Zeit zwischen 560-540. Aus der Anzahl der Gräber können wir ableiten, daß dieses Gebiet in der Etruskerzeit stark bevölkert war.

Der Fabeldichter Aisopos starb. Man sagt daß er ein freigegebener Sklave gewesen sei. Einige Quellen nennen Phrygien, andere Thrakien als seine ursprüngliche Herkunft. Seine Berühmtheit stammt aus seinen Tierfabeln, die lange Zeit mündlich überliefert wurden. Viele von ihnen wurden später von dem griechischen Poeten Babrius und vom Römer Phaedrus im ersten Jahrhundert v. Chr. aufgezeichnet. Aber wer von uns heute Lebenden hat noch keine Fabel von Aisopos gehört? Daher ist er wahrscheinlich der meist gelesene (oder wiedergegebene) Fabelerzähler der Literaturgeschichte. (Es ist dabei durchaus möglich, daß ihm ein Teil der Fabeln zugeschrieben wurde, obwohl sie jemand anderer ausgedacht hat, aber das soll in keiner Weise die Verdienste des Aisopos schmälern. Letzteres ist ja schließlich in unserer Geschichte schon öfter geschehen. Viele seiner Fabeln haben eine Sensmoral - mehrere davon leben auch in unseren heutigen Sprachen als Sentenzen weiter. Hier folgt ein Beispiel von Aisopos Dichtkunst in freier Übersetzung:)

DER LÖWE UND DER HASE:

Ein Löwe fand einen Hasen, der in tiefen Schlaf versunken war. Der Löwe wollte ihm gerade den Garaus machen, als er einen schönen, jungen Hirschen vorbeilaufen sah. Der Löwe ließ den Hasen liegen und begann den Hirschen zu verfolgen. Der Hase jedoch erwachte durch den Lärm und rannte schnell davon. Nach einer langen Jagd mußte der Löwe einsehen, daß er den Hirschen nicht erreichen würde und ging zurück, um den Hasen zu verzehren. Als der Löwe sah, daß auch der Hase weg war, sagte er: "Mir geschieht recht, weil ich die Beute, die ich schon in der Hand hatte, ausließ, nur weil ich die Möglichkeit hatte, eine größere zu bekommen."
(Alle kennen wohl das Sprichwort vom "Spatzen in der Hand, der besser ist als zehn Tauben auf dem Dach" - das ja denselben Inhalt hat. Aber beileibe nicht alle von Aisopos Fabeln haben auch eine moralische Botschaft, wie auch nicht alle von Tieren handeln. Hier kommt ein solches Beispiel:)

DAS ABBILD DES MERKURIUS UND DER TISCHLER:

Ein ganz armer Mann, der von Beruf Tischler war, hatte eine hölzerne Statue des Merkurius in seinem Haus. Vor dieser brachte er Tag für Tag Opfer dar und bat den Gott, ihn doch reich zu machen - aber trotz allen Bitten wurde er nur ärmer und ärmer. Schließlich wurde er sehr zornig, ergriff das Abbild und warf es an die Wand. Als auf diese Weise der Kopf des Merkur abgerissen wurde, rann das reinste Gold heraus, das der Tischler schnell aufhob und sagte: "Ich glaube du bist durch und durch voller Widersprüche und ganz unvernünftig; denn als ich dich ehrte, bekam ich keine Belohnung. Aber jetzt, da ich dich schlecht behandelte, habe ich plötzlich Reichtümer in Hülle und Fülle."
(Was sollte in dieser Erzählung wohl die Botschaft sein? Daß man nur im Zorn Erfolg erzielt? Oder daß es sich lohnt, gewalttätig zu werden? Ich persönlich glaube eigentlich nicht, daß Aisopos in seine Fabeln eine Sensmoral hineinlegte, er erzählte nur von ganz gewöhnlichem, menschlichem Benehmen, auch wenn er oft Tiere als Hauptpersonen wählte. Und dieses Benehmen an sich ist so typisch, daß man später oft eine Sensmoral daraus ableiten konnte. Vielleicht leitet sich ein Teil seines zeitlosen Erfolges gerade davon ab, daß sich die Menschen zu allen Zeiten in seinen Erzählungen selbst wiedererkennen konnten.
Aber nicht nur die menschliche Natur wird in den Fabeln gespiegelt, sondern auch die der Götter. Merkurius wahr ja wahrlich launisch und schwer einzuschätzen - er war ja nicht nur der Gott der Kaufleute, sondern auch der der Diebe. Was in diesem Zusammenhang interessant erscheint, ist dagegen, daß Merkurius in der Fabel überhaupt vorkommt. Er war ja ein römischer Gott, sein griechischer Bruder war Hermes. Meine Quelle ist die englische Übersetzung von George Fyler Townsend aus dem vorigen Jahrhundert - und dort steht unzweideutig Merkurius. Aber bitte: als Phaedrus die Fabeln niederschrieb, paßte er sie wohl gleich den römischen Voraussetzungen an....)

Jojachin starb in der babylonischen Gefangenschaft.

Ibykus, ein griechischer Dichter, wurde in Rhegium, dem heutigen Reggio di Calabria geboren. Er sollte ein Wanderdichter werden, der sich u.a. bei Polykrates auf Samos aufhalten würde. Aus Fragmenten seiner Werke geht hervor, daß sie für Chorgruppen geschrieben waren.
Einer, der "den Weg in anderer Richtung ging", d.h. auf Samos geboren wurde, aber in Rhegium tätig war, war der Bildhauer Pythagoras aus Rhegium. Er war in der ersten Hälfte des Jahrhunderts auf seinem Gebiet führend, nicht zuletzt dadurch, daß er Muskeln und Haare schuf. Aber kein einziges seiner Werke hat bis heute überlebt.

König Amasis von Ägypten erlaubte Samos, Rhodos, Phokaia, und anderen Städten, ein griechisches Handelszentrum auf ägyptischen Boden zu errichten. Schon ein Jahrhundert vorher hatte Milet die Erlaubnis bekommen, die Stadt Naukratis, am linken Arm des Nils belegen, zu gründen.


559 v. Chr.


Solon aus Athen starb.

Neriglissar kam in Babylonien an die Macht und erweiterte das babylonische Reich bis an die Grenze von Lydien.


558 v. Chr.


Cyrus der Große kam in Anshan an die Macht. Seine Hauptstadt war Pasargadae, wo man Ruinen ausgegraben hat, die von seiner Größe zeugen. Seine zwei Paläste lagen in mauerumschlossenen Gärten. Die Wände bestanden aus Lehmziegeln; das Fundament, Türen und Kolonnen waren doch aus Stein. Die Dächer waren flach und vermutlich aus Holz. Der Turm war aus gelbem Kalkstein erbaut, während schwarzer Kalkstein die Tür und die blinden Fenster einsäumte.

Dareios I, Sohn des Hystaspes, wurde in den Stamm der Achämeniden geboren.


556 v. Chr.


Neriglissar legte die Krone von Babylonien nieder. Nabonidus, vom Stamm der Harran, wurde der letzte babylonische König (was er allerdings noch nicht wußte). Seine Mutter, Adda-Guppi, war Hohenpriesterin des assyrischen Mondgottes Sin. Obwohl sie schon im Jahr 651 das Licht der Welt erblickt hatte, erlebte sie noch 9 Jahre der Regentschaft ihres Sohnes. Sie wurde also 104 Jahre alt und soll großen Einfluß auf Nabonidus ausgeübt haben, der unter anderem seine älteste Tochter als Hohenpriesterin in Ur einsetzte, in einer Stadt, die er überhaupt ausbaute und sehr verschönte. Noch heute beträgt die Höhe des Zikkurates in Ur stattliche 21 Meter. Nabonidus stand den assyrischen Traditionen sehr nahe (und schien außerdem einen religiösen Trieb gehabt zu haben). Er restaurierte das Zikkurat in Nanna, sodaß es sich an Schönheit mit dem Esagila, dem Tempel des Marduk in Babylon messen konnte. Vermutlich kommt es daher, daß das Zikkurat von Nanna in unseren Tagen am besten bewahrt ist. (Einige Quellen behaupten, daß Nanna auch der sumerische Name für den Mondgott Sin war.) Ein Zikkurat ist ein Tempelturm. Das berühmteste ist das Etemenanki, das Zikkurat von Babylon, ein siebenstöckiges Gebäude, das viele für Babels Turm halten.
Bald nach seiner Machtübernahme hatte Nabonidus einen merkwürdigen Traum. (Möglicherweise war es aber auch seine Mutter, die es ihm im Schlaf einflüsterte.) Er träumte daß Marduk und Sin ihn aufforderten, den Mondtempel Ehulhul zu Sins Ehren zu erbauen. (Dadurch, daß er genialerweise Marduk, den Stadtgott Babylons in den Traum miteinbezog, um den Auftrag zu "legalisieren", war es leichter ihn auszuführen, obwohl er einem anderen, nicht einmal babylonischen Gott zum Nutzen kam.) Daher ließ Nabonidus den Mondtempel in Harran wieder aufbauen. Aber trotz Marduks Teilnahme an dem Traum, sah die Bevölkerung und nicht zuletzt die Priesterschaft Marduks nur mit unfreundlichen Augen auf den Neubau. Letztere hetzten das Volk gegen den König auf und legten Mißernten und Krankheiten als Marduks Unzufriedenheit mit dem Regenten aus. (Logisch, sie hatten Angst, ihre Arbeit zu verlieren, und wollten daher keine Konkurrenz anderer Götter. Wieder finden wir deutliche Parallelen zu unserer Zeit. Als Schweden im Begriff war, in die EU einzutreten, erzählten die Zollbeamten auch Schauermärchen darüber, wie Rauschgift und andere Suchtmittel das Land überschwemmen würden, sollte man beim Zoll einsparen.)
Das Gerichtswesen war in Babylon gut entwickelt. Es oblag den Gerichten, Urteile zu verkünden, aber es gab auch einen Rat der Ältesten, der als Tribunal funktionierte. Ein richterliches Urteil konnte nur durch ein Gnadengesuch beim König aufgehoben werden. Die Strafen waren streng, man kannte sowohl die Todesstrafe, wie auch Verstümmelung, Versklavung und den Landesverweis. Geldstrafen für verursachte Schäden betrugen zwischen dem drei- bis dreißigfachen des verursachten Schadens. (Vielleicht hatte man dadurch die mutwillige Zerstörung besser im Griff, als wir es heute schaffen.) Als Unterlage zur Schriftsprache hatte man das Hieroglyphensystem der Sumerer übernommen, und um die Schriftgelehrten und die administrativ Bediensteten auszubilden, verwendete man das sumerische Schulsystem. Diese Schulen waren gleichzeitig kulturelle Zentren im Land. Auf dem Stundenplan stand sowohl Abschreiben von Textmaterial, wie auch Gedächtnistraining und Mathematik. Außerdem bewahrte man und lehrte aus sumerisch-babylonischen Wörterbüchern (was einen direkten Vergleich zu unserem heutigen Unterricht in Latein und Griechisch zuläßt). Die Literaturstudien gingen darauf hinaus, daß man diverse Mythen, Hymnen, Redewendungen, etc. sowohl auf Sumerisch wie auf Babylonisch abschrieb und auswendig lernte.

Simonides aus Keos wurde in Iulis geboren. Er sollte Lyriker werden und sich eine Zeitlang am Hof von Hipparchos in Athen aufhalten, dann aber bei den führenden Familien von Thessalien, den Skopaden und Aleuaden sein Auskommen finden. Schließlich würde er für seine Schilderungen der Perserkriege berühmt werden. Sein Gesamtwerk war sehr vielfältig, aber heute sind uns nur etwa 100 Zeilen erhalten geblieben. Er ist es, der nach der Schlacht bei den Thermophylen, für Leonidas und seine Spartaner die Verse geprägt hat:

Fremder, geh' und sag' den Lakedaimoniern,
daß wir hier aus Gehorsam für ihr Gesetz liegen.


555 v. Chr.


Peisistratos zwei Söhne, Hippias und Hipparchos wurden geboren.

554 v. Chr.


Die Aristokratie, angeführt von Megakles und Lycurgus, kam während der Zeit, da Hegesias Archont war, nach Athen zurück. Sie zwangen Peisistratos ins Exil, auf die Insel Euböa.
Euböa ist nach Kreta die größte griechische Insel. Holz, Wein und Öl gehörten zu ihren Naturschätzen. Eretria und Chalkis waren die zwei größten Städte der Insel. Beide Städte waren hochgradig an der Kolonialisierung von Süditalien beteiligt.

Phalaris wurde von Telemachos gestürzt. Unter seiner Führung war Akragas schnell eine der wichtigsten Städte Siziliens geworden, aber er war auch wegen seiner Grausamkeit verrufen. Man behauptet, daß er einen hohlen Bronzestier anfertigen ließ, um darin seine Feinde bei lebendigem Leib zu braten.
Die neuen Machthaber in Akragas hießen Alkamenes und Alkandros, die den früheren Tyrannen und seine Familie ermorden ließen und außerdem dem Volk verboten, blaue Kleidung zu tragen, denn blau war die Uniformfarbe von Phalaris Leibgarde gewesen.


553 v. Chr.


Cyrus der Große führte eine Revolte gegen die Meden an.

Kamarina wurde zum ersten Mal von Syrakus zerstört. Die zweite Zerstörung sollte im Jahr 484 v. Chr. stattfinden.

Der Poet Stesichoros erblich. In Süditalien geboren, wohnte er kurze Zeit in Griechenland und starb in Katana. Seine Gedichte wurden in 26 Bänden herausgegeben, aber nur Fragmente sind uns erhalten geblieben. Seine Dichtung berührte vor allem mythologische Themen, u.a. den Fall Trojas und die Taten des Herakles.


552 v. Chr.


Nabonidus begab sich auf Kriegszug gegen Edom, südlich vom Toten Meer belegen. Nach dem Sieg kehrte er jedoch nicht nach Hause zurück, was alle erwartet hatten, sondern ging weiter nach Süden und eroberte die Oasenstadt Teima im nordwestlichen Arabien. Dort blieb er dann zehn Jahre lang. Von Teima, das ihm als Ausgangsort diente, unterdrückte er große Teile Arabiens, bis zur Stadt Jatrib (heute Medina). Obwohl Teima ein Zentrum für die Anbetung des Mondgottes war, konnten Nabonidus Zeitgenossen nicht verstehen, warum er nicht nach Babylon heimkehrte. Dort regierte inzwischen sein Sohn, Belschazzar, der natürlich seinem Vater die Stange hielt.
(Eigentlich war es eine ganz logische Lösung, da Nabonidus beim Volk ja nicht gerade beliebt war. Dadurch, daß er sich abseits hielt, wurde das Risiko für Aufstände entschieden vermindert, während der Sohn aber daheim die Stellungen hielt, sodaß die Macht in der Familie blieb. Vermutlich hatte Belschazzar auch keine Einwände dagegen, repräsentieren zu dürfen.) Die Bibel erzählt ja von dem wilden Gelage Belschazzars, bei dem er frevelhafterweise die Tempelkelche aus Jerusalem verwendete, als eine unsichtbare Hand Worte an die Wand schrieb. Niemand konnte jedoch dieses "mene tekel", das da an der Wand stand, deuten, bevor man den jüdischen Propheten Daniel fragte. Er sah gleich, daß es eine göttliche Schrift war, die bedeutete: "gewogen - und für zu leicht befunden". (Die Bibel in Daniels fünftem Kapitel macht allerdings Nebukadnezar und nicht Nabonidus zu Belschazzars Vater.)

551 v. Chr.


Der Meister Kung Chiu (Fu-Tzu), der mit seinem lateinischen Namen als Konfuzius bei uns mehr bekannt ist, wurde im Staat Lu geboren, was ungefähr der heutigen Provinz Schantung entspricht. Ab seinem sechzehnten Lebensjahr studierte und unterrichtete Konfuzius, aber er hinterließ keine eigenen Schriften. Er war auch kein Schöpfer neuer Ideale, sondern vor allem Verkünder alter Lehren, die er auslegte. Diese Lehren, von seinen Schülern aufgezeichnet, wurden zu den "fünf Klassikern" oder "Konfuzius Klassikern", womit er auf jeden Fall stark zu der klassischen Periode der chinesischen Literatur beigetragen hat.
In China lebte man unter einer Feudalherrschaft, in der zwischen den einzelnen Feudalherren große Streitigkeiten auf der Tagesordnung standen.
Konfuzius war ein Fürsprecher der Wiedereinführung des Kaiserreiches, um zurück zu Ordnung und Wohlstand zu kommen. Er akzeptierte zwar die Hierarchie an sich, aber betonte, wie wichtig es sei, daß die führenden Köpfe des Landes dem Volk auch als gute Vorbilder dienten, und sich daher selbst exemplarisch betragen müßten. Man sollte auch zu den Eigentumsgesetzen, den Familienverhältnissen und der sozialen Organisation zurückkehren, die am Anfang der Zhou-Dynastie gültig waren, also ungefähr ein halbes Jahrtausend vorher, und die in den frühen Büchern niedergeschrieben worden waren. Der wichtigste Bestandteil des Systems war jedoch troz allem das Individuum. Jeder Mensch sollte nach persönlichen Tugenden, wie Ehrlichkeit, Liebe und Respekt streben und die Beispiele in der alten Literatur studieren. Das würde zunächst zu Harmonie und dadurch zu Wohlstand für die Familie, die Gesellschaft und den Staat führen.
(Man könnte natürlich Konfuzius ohne Ende zitieren, und auch die Auswahl der Zitate könnte man in alle Unendlichkeit diskutieren. Deshalb gebe ich zu, daß ich die folgenden zwei Zitate völlig subjektiv ausgewählt habe, ganz einfach weil sie mir gefallen. Sie sind aus "Lunyu" geholt, was soviel wie "Gespräche" bedeutet:)
Der Schüler Zi Gong fragte: "Gibt es ein Wort, das ganz allein als Richtlinie für den ganzen Lebenswandel dienen könnte?"
Der Meister antwortete: "Vielleicht das Wort "Mitgefühl"? Was Du nicht willst, daß andere Dir antun, das sollst Du auch nicht anderen zufügen."

(Das ist ja fast, wie die Bibel aufzuschlagen. Ich wählte dieses Zitat aus mehreren Gründen. Erstens schadet es uns, die wir im westlichen Kulturkreis leben, keinesfalls - seien wir nun Christen oder nicht -, einzusehen, daß unsere Kultur weder die erste noch unik ist. Wir haben ja in jeder Hinsicht die Neigung, uns selbst ins Zentrum zu setzen, ob das nun zur Zeit der Griechen Delphi war, vor Galilei die Erde oder heute die Milchstraße - "alle anderen Galaxien fliehen von uns fort". Deshalb finden wir natürlich auch, daß unsere Kultur die größte, beste und schönste ist - das beweist ja der Nationalismus zur Genüge. Und wir werden es nie lernen, andere Rassen zu akzeptieren, so lange wir die Wahrheit dieser kofuzianischen Aussage nicht einsehen. Wir brauchen uns ja nur die Einstellung der westlichen Welt in der Bosnienfrage vor Augen zu halten, da wir es lange genug einfach zuließen, daß eine ganze Volksgruppe abgeschlachtet wurde, nur weil sie kulturfremder als ihre Angreifer waren. Andererseits geschieht genau dasselbe, nur mit umgekehrten Vorzeichen, in der Welt des Islams, in der die Fundamentalisten alles Westliche verdammen.
Zweitens zeigt das Zitat, daß das "Mitgefühl" nicht etwas ist, was aus der christlichen Religion entstanden ist, wie man es ja manchmal von deren Fürsprechern hört, sondern etwas, das einer philosophischen Einsicht entspricht. Vielleicht ist der Unterschied an sich gar nicht so wichtig, aber mir erscheint es wertvoll zu betonen, daß jeder denkende Mensch - von Religionsangehörigkeit ganz abgesehen - zu diesem Schluß kommen müßte; daß die philosophische Weisheit also auf höherer Stufe steht als die religionsgebundene. Das Problem hierbei ist wohl, daß die Religion vom gewöhnlichen Volk "leichter verstanden wird", daß man mit ihrer Hilfe die Masse der Menschen auf einfache Art lenken kann, ein ethisches Leben zu führen, obwohl man dadurch auch z.B. in Nordirland Bomben akzeptieren muß.
Ich habe noch ein drittes Argument, warum ich dieses Zitat gewählt habe, aber bevor wir darauf eingehen, müssen wir zuerst das nächste betrachten.)

Zi Gong fragte: "Kann auch der edle Mann Haß fühlen?"
Der Meister antwortete: "Ja, er kann Haß fühlen. Er haßt die, die von den Fehlern anderer sprechen, er haßt die, die in niedriger Stellung ihre Vorgesetzten verleumden, er haßt die, die mutig sind, aber keine Höflichkeit kennen, er haßt auch die, die selbstbewußt, aber geistig beschränkt sind."

(Hier gibt es einen deutlichen Unterschied zum Christentum, in dem man ja auch die schlimmste Demütigung erdulden müßte, und Konfuzius, der menschlich genug ist, um das Gefühl nicht zu unterdrücken. Dummes Gerede, Unhöflichkeit und Dummheit ist das, was - konkret ausgedrückt - hassenswert ist. Dazu kommt noch die Achtung für die Hierarchie, für die ich persönlich weniger Verständnis aufbringe. Aber im Prinzip ist auch dieser Punkt nicht falsch, wenn man voraussetzt, daß die Gesellschaft von den Fähigsten geführt wird - wovon wir heute jedoch astronomisch weit entfernt sind. Bildung, Intelligenz und logisches Denkvermögen werden sehr gering bewertet, nicht zuletzt hier in Schweden. Man stelle sich einmal vor, wir würden verlangen, daß ein angehender Lehrer analytische Fähigkeiten beweist, statt nur seinen Gegenstand mehr oder weniger zu "beherrschen" und außerdem den Videoapparat einschalten zu können. Es würde einen Aufstand geben. Die Gewerkschaft würde der Schlag treffen - kollektiv. Oder nehmen wir an, wir würden von Politikern wenigstens belegte Durchschnittsintelligenz verlangen!
Es ist recht interessant, daß in allen Zeiten die Lösungen der großen Denker, auf die Frage, welches Gesellschaftssystem das beste sei, eine Mischung dessen beinhalten, was wir heute Links- oder Rechtspolitik bezeichnen. In Konfuzius Fall eine Verbindung des hierarchischen Staatswesens mit solidarischer Mitmenschlichkeit. Auch das ist ein Zeichen dafür, wie weit der Weg zur Einsicht für uns noch ist.
Aber eigentlich ist es gar nicht so verwunderlich. Ich habe gerade in meinen Schulbüchern nachgesehen, was wir in der Gymnasienzeit über Konfuzius erfuhren. Ich fand seine Lehren auf zwei Seiten unter "Andere ostasiatische Religionen". Das in Religionslehre, im Philosophiebuch wird er nicht einmal erwähnt! Ach, wenn wir doch nur schon vor dreißig Jahren gelernt hätte die Gedanken der Großen nachzuvollziehen und zu analysieren, um von ihnen etwas zu lernen, statt daß einige von uns - denn viele werden es nicht sein - sie erst im Erwachsenenalter mühsam wieder entdecken müssen. Wie soll die Welt sich je im positiven Sinn verändern können, wenn unsere Diskussionen über die neuen Lehrpläne sich darum drehen, ob wir eine halbe Stunde mehr oder weniger Turnen haben sollen, oder ob man den infragestehenden Gegenstand in Zukunft weiterhin "Zeichnen" oder vielleicht doch besser "Bild" nennen solle. Und als höchstes der Gefühle behauptet man dann, man habe einen neuen Lehrplan erschaffen! Aber natürlich ist es so, daß nur der, der Einsicht in die Ideen der großen Denker hat, auch ihren Wert schätzen kann. Und wie viele von denen, die Lehrpläne erschaffen, haben schon diese Einsicht?)


Copyright Bernhard Kauntz, Västerås, April 1997 - Januar 2000
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