GESCHICHTE UND GESCHICHTEN
AUS DEM 18. JAHRHUNDERT

Das große Erdbeben in Lissabon

Am 1. November des Jahres 1755 bebte kurz vor zehn Uhr vormittags (lokale Zeit) die Erde, mit dem Epizentrum etwa 200 Kilometer südwestlich von Lissabon. Das Erdbeben erreichte eine Stärke von 8,5 bis 9 nach unserer heutigen Skala. Es war nahezu in ganz Europa zu spüren. Noch in Luxemburg stürzte eine Kaserne ein und begrub 500 Soldaten. Sogar in Finnland verspürte man, dass die Erde zitterte.
Man kann sich vorstellen, wie verheerend sich diese Naturkatastrophe vor Ort ausgewirkt haben muss. Aber damit noch nicht genug. Kurz nach dem Erdbeben schlug eine Flutwelle über die Stadt hinweg und zerstörte, was noch heil geblieben war. Sogar an der Küste Englands war dieser Tsunami noch drei Meter hoch. Kein Wunder, dass ein Drittel der Bevölkerung das Leben verlor. Insgesamt zählte man an die 100.000 Toten.

Es dauerte jedoch mehr als ein Monat, bevor Berichte darüber in Wien einlangten und in der Zeitung abgedruckt werden konnten. So schrieb die Wiener Zeitung in ihrer Ausgabe vom 3. Decembris durch ihren Korrespondenten in Madrid, der diese Botschaft am 3. November abgeschickt hatte:
Den 1sten dieses Monats Morgens gegen 10. Uhr hatten wir in hiesiger Stadt ein heftiges Erd-beben, welches vier Minuten anhielte, und während dieser Zeit an vielen Gebäuden Schaden thate, insonderheit hatten zwey Knaben das Unglück, daß sie von einem auf der Spitze einer Kirche stehenden steinern Kreutze, das herunter stürzte, ihr Leben einbüsseten.
Die gleiche Ausgabe berichtet aus Rotterdam, wo der Brief am 11. November abgeschickt worden war:
Bey der am ersten dieses in hiesigen Landen sich ereigneten Erd-bewegung, hat sich unter andern alhier zugetragen, daß ein ziemlich grosses Kauffardey-schif, welches in einem Canal nicht weit von der Maaß am Ufer, fast auf dem Trockenen gelegen, von der gewaltigen Bewegung des Wassers in einem Augenblick wol über vier Fuß hoch aufgehoben, und durch die gählinge Verschwindung des Wassers, so unsanft nieder geworfen worden, daß es in viele Stücke zerbrochen.
Die nächste Ausgabe, vom 6. Dezember, bringt dann ein Extra-blat, das sich nur mit dem Erdbeben beschäftigt. Hier kommen einige Auszüge daraus:
Beschreibung des den 1. November lauffenden Jahrs 1755, in Portugal, und in Spanien sich ereigneten erschrecklichen Erd-bebens vermög sicheren aus dasigen Landen eingeloffenen den 10. besagten Monats datirten Briefen.
... Der in Portugal durch eben dieses Erd-beben verursachte Schaden, ist gleichsam unbeschreiblich; allermassen selbes alda eben den 1. Nov. seinen Anfang genommen hat, so um 3.Viertl auf 10. Uhr Vormittag beschehen ist. Von der an der Spitze Europens an dem Meer ligenden Haupt-stadt dieses Königreiches Lisabon (welche bey 30000.Häuser zehlete, und einen vortreflichen Hafen hatte) seynd gegen drey Theile in einen Stein-hauffen verwandelt, darunter auch die Helfte deren dasigen Einwohnern (welche man jederzeit auf mehr als dreymal hundert tausend Menschen gerechnet) begraben werden. Bey Abgang des Curriers, welcher diese betrübte Nachricht von Lisabon nacher Madrid überbracht, und welcher den 4. deto von dannen aufgebrochen, seynd noch immer einige Bewegungen der Erde zu verspühren gewesen, obwolen der ganze Umsturz deren obbemeldeten Gebäuden der Stadt gleich innerhalb der ersten 5. Minuten beschehen; auch hat die Feuers-brunst (welche von denen in denen meisten eingefallenen Kucheln bey annahend-damaliger Mittags-essenszeit gebrannten Herd-feuern entstanden, und an 4. Orten der Stadt zugleich sich erhoben) bey Abgang des besagten Curriers annoch sehr heftig gewütet, und denen von der Erschütterung noch aufrecht gebliebenen Gebäuden den ebenmäßigen Untergang gedrohet. Das Meer und der Tagus-fluß seynd zu gleicher Zeit durch das Erd-beben in eine ganz erstaunliche Bewegung gerahten, und auf einmal so hoch gestiegen, daß es geschienen, daß auch dieses Element mit denen übrigen zu dem Untergang dieser so florisant gewesten Königlichen Residenz-Haupt- und Handel-stadt zusamm-getretten. Der Königliche Pallast, der Schatz, das Archiv, die Königliche Patriarchal-kirche, und die meiste übrige schöne Kirchen, und andere vornehme Gebäude ligen alle zu Boden. Der Königlichen Famille, welche sich damals zu Belem befunden, ist jedoch, Gottlob! kein Unglück zugestossen, obwolen der alldasige Pallast ebenfalls gelitten. ...
Die 5. Meile von Lisabon entlegene Stadt Cascaes, wie auch Setubal, so zugleich 2. See-häfen seynd, haben ein gleiches Schicksal erlitten.
(Eine Meile war in früherer Zeit länger als die heutige englische Meile, jedoch in verschiedenen Gebieten unterschiedlich lang. Im Deutschen Reich betrug eine Postmeile 7500 Meter, in Österreich war sie ein wenig länger. Tatsächlich liegt Cascais heute etwa 25 km von Lissabon entfernt, Setubal knappe 50.) Auch hat sich dieses Unglück durch ganz Algarbien (=Algarve) ausgebreitet. Nicht minder hat man solches in Andalusien grimmig empfunden, allwo es sonderheitlich in der Haupt-stadt Sevilla, und zwar um 10 Uhr Vormittag (Der Unterschied in der Zeitangabe erklärt sich dadurch, dass damals im Prinzip jede Stadt ihre eigene, nach der Sonne gerichtete, Lokalzeit verwendete.) mit einem entsetzlichen unterirrdischen Gerassel sich geäusseret, und fast kein Gebäu, insonderheit keine Kirche, noch Kloster, unbeschädiget gelassen hat. ... Zu Guelfas ist die Kirche, worinnen eben ein Priester Messe gelesen, eingefallen, und hat diesen Priester, samt allen Leuten, welche darinnen waren, verschüttet. ... Chipiona, Ayamonte, Puerto S. Maria, und viele andere am Meer gelegene Ortschaften seynd völlig zu Grund gerichtet, und gleichsam verschlungen. ...
Zu Cadix hat es sich ebenfalls mit Erschütterung deren Gebäuden, jedoch mit etwas minderen Schäden geäussert. Die Aufschwellung des Meers aber hat die Inwohnere in die äusserste Forcht und Schrecken gesetzet, weilen es schiene, als ob die ganze Stadt überschwemmt, und versencket werden wurde, da das Wasser die Stadt-mauer von dem Thor Galetti bis an das Thor St. Catharina eingeworfen und insonderheit den Weeg, so von der Stadt nach der Insul gehet, augenblicklich dermassen überschwemmet hat, daß davon der Theil von dem Thor Torre bis Cantarelle völlig weggerissen ist; wordurch zugleich alles, was damals an Fuhr-werken, und Menschen auf solchem Weeg sich befunden, zu Grund gegangen; und rechne man bey 200. Personen, denen dieses Unglück allda ihr Leben gekostet hat. Das Meer wirft seithers sehr viele Leichen an das Ufer, so ein klares Zeichen ist, daß auch zur See viele Menschen umgekommen seyn müssen.


Copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2010


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