Alte Zeitungen, Teil 2


Es konnte natürlich nicht bei einer Zeitung bleiben. Ich fand die "Deutsche Zeitung", die sowohl als Morgen- als auch als Abendblatt erschien. Am Morgen kostete sie 6 Kronen, am Abend nur mehr die Hälfte ... 1872! Das war noch zur Kaiserzeit, das war, als meine Urgroßmutter noch in der Wiege lag! Was wir hier lesen können, das ist erlebte Geschichte!
Ich habe das Abendblatt des 15. Juli dieses Jahres aufgeschlagen. Die Redaktion ist in der Wallfischgasse 12. (Auch sonst ist die Orthographie (Ortografie?) nicht mehr ganz aktuell, aber ich werde die zitierten Texte beibehalten, wie sie sind.) Die Hauptexpedition allerdings ist in der Wollzeile 6.
Deutsche Zeitung ... ich finde keine Unterlagen dafür, aber ich glaube nicht, dass da besonders nationalistische Gedanken dahinter stecken. Es war ganz einfach so, dass man im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn ein Organ brauchte, das die deutschsprachige Bevölkerung auf dem Laufenden hielt. Doch genug der Vorrede, ich werfe mich sogleich mitten hinein in die Geschichte - oder wie es hier heißt, in die "Politische Rundschau":

Man spricht über das aktuelle Wahlresultat in Ungarn, wo die Deak- und Reformpartei einen Stimmenzuwachs erringen konnte, während die Opposition Sitze verlor. In der Opposition gab es Anhänger des linken Zentrums, sowie der äußersten Linken.

Die Verhältnisse mit Kroatien waren etwas gespannt, aber "die kaiserliche Antwort, welche der croatischen Adreß-Deputation zu Theil wurde, hat in Croatien den besten Eindruck gemacht. Die Blätter freuen sich darüber, daß 'die Revision des Ausgleiches von der höchsten Instanz auf die Tagesordnung gestellt' ist. Daß der Kaiser nur vom 'croatisch-slawonischen' Landtage sprach, will ihnen nicht sehr gefallen, aber man will das nicht auf die Rechte Croatiens auf Dalmatien beziehen und hofft vielmehr das Beste.
Baron Praudan, dessen Verdienst die glückliche Wendung in den croatischen Verhältnissen ist, hat es dadurch mit den Parteigängern Rauch's vollkommen verdorben. Das Organ dieser Extremen, 'Narod', greift diesen verdienten Mann in heftigster Weise an; dadurch beweist die Fraction übrigens nur, daß sie kein Verständniß für die Bedürfnisse des Landes hat und nur noch weiter den Unfrieden schüren will.
"
Ich gestehe ehrlich, dass mir Baron Praudan kein Begriff ist und auch Googgle sagt nichts über ihn, daher kann ich leider keine weiteren Erklärungen hinzufügen. Klar ist allerdings, dass es schon damals, also etwa 40 Jahre vor dem Ersten Weltkrieg, in Österreich-Ungarn gegärt hat, dass die einzelnen Nationalfraktionen mehr Einfluss haben wollten. Heute ist das umgekehrt, heute wollen sie alle in die Europäische Union. Man hätte der Welt viel Elend ersparen können ...

Dann geht es weiter zur Außenpolitik, zum Nachbarn Deutschland. Zu bedenken ist, dass dies nur ein Jahr nach dem Deutsch-französichen Krieg geschrieben wurde:
"Bekanntlich ward der jüngste Vertrag zwischen dem Deutschen Reiche und Frankreich auch den süddeutschen Staaten zur Genehmigung und Unterzeichnung vorgelegt. Darin lag eine ganz besondere Courtoisie für die süddeutschen Höfe, denn von irgend einer staatsrechtlichen Nothwendigkeit, diesen Beitritt der süddeutschen Souveräne zu dem deutsch-französischen Vertrage vom 29. Juni einzuholen, kann gar keine Rede sein. Der Artikel 11 der Reichsverfassung gibt dem Kaiser das alleinige und ausschließliche Recht, das Reich völkerrechtlich zu vertreten und Verträge mit fremden Staaten abzuschließen. Es dürfte daher diese Aufmerksamkeit in München und Stuttgart nicht ohne Eindruck geblieben sein."
Und Letzteres war vermutlich genau das, was Bismarck wollte, um den Süden Deutschlands noch mehr von Österreich-Ungarn zu entfernen. Interessant ist auch, dass man zwar vom Deutschen Reich spricht, aber dennoch von den süddeutschen Staaten.

Weiter geht es mit innerpolitischen Problemen in Deutschland, die in der aufstrebenden sozialistischen Bewegung allerdings eher international sind. Man sieht hier die Angst der Burgoisie vor der Kraft der Masse. Heute sind die sozialistischen Poliker eher darauf bedacht, die eigenen Brieftaschen zu füllen, als die der Massen.
"Aus Berlin schreibt man der 'Frankfurter Zeitung' zu den bevorstehenden Conferenzen über die 'Internationale', daß Graf Andrassy nicht mit denselben einverstanden sei. Er habe die Betheiligung Österreichs, die noch Beust versprochen, nicht rückgängig machen können, aber verlangt, daß man auf den Conferenzen nicht die Frage behandle, wie die socialistische Agitation zu unterdrücken sei, sondern daß man sich mit der Frage beschäftige, wie man die Lage der arbeitenden Classe durchgehends so verbessern könne, daß sie von selbst den Einflüsterungen socialistischer Agitatoren ihr Ohr verschließen. Auf Andrassy's Wunsch sei dann eine bestimmte Formulirung der Fragen, mit denen sich die Conferenz beschäftigen solle, von Berlin nach Wien geschickt worden, habe aber hier ganz und gar nicht gefallen. Ob eine neue Formulirung in Berlin beliebt werde, sei zweifelhaft. Ist das Alles richtig, so würde daraus hervorgehen, daß unser Minister des Auswärtigen die sociale Frage weit freisinniger und klüger auffaßt, als sein College, der Minister des Innern, der von der Polizei die Lösung des Problems erwartet".
Dazu wäre noch zu sagen, dass Freiherr von Beust ein sächsischer Politiker war, der als Gegner von Bismarck Sachsen an der Seite Österreichs in den Krieg gegen Preußen führte. Nach der Niederlage bei Königgrätz kam er nach Österreich, wurde österreichisch-ungarischer Außenminister und später Reichskanzler und Ministerpräsident. Er wurde 1871 von Graf Gyula Andrássy abgelöst und wurde Botschafter in London und später in Paris.
Graf Andrássy dürfte der breiten Bevölkerung am ehesten als Freund von Kaiserin Elisabeth bekannt sein. Er war ursprünglich aktiv an der ungarischen Rebellion gegen die Habsburger beteiligt und wurde 1850 zum Tod verurteilt. Im Pariser Exil sah er jedoch ein, dass der Panslawismus für Ungarn eine größere Gefahr war als das Habsburgerreich und änderte seine Auffassung. 1860 durfte er nach Ungarn zurückkehren und wurde 1867 ungarischer Ministerpräsident. 1871 schließlich wurde er Minister des Äußeren und Reichskanzler in der Doppelmonarchie. Er befürwortete eine Neutralitätspolitik für Österreich-Ungarn und bekam beim europäischen Kongress 1878 in Berlin für Österreich das Mandat der Großmächte, Bosnien und Herzegowina zu besetzen. 1879 trat er zurück, nachdem er für den Zweibund mit Deutschland einen Teil herber Kritik hinnehmen musste. Aber es soll auch gesagt werden, dass viele diesen Staatenbund hochlobten.

Die Vorgänger der ETA in Spanien waren auch schon zur damaligen Zeit aktiv, wie folgende Meldung beweist:
"Telegraphisch wird von Madrid aus nach Paris das Umsichgreifen der Insurrection in Catalonien gemeldet. Man bedroht die Eisenbahn-Compagnien, welche sich weigern, die beträchtlichen Summen, die man von ihnen fordert, zu zahlen. Die Banden schneiden die Telegraphendrähte ab, verhindern den regelmäßigen Verkehr der Züge und auf einen derselben wurde sogar geschossen."
Heute legt man statt dessen Bomben ...

In den USA erklärte sich Horace Greely zum Präsidentkandidaten der Demokraten. Die "New York Times" führten aus, dass "Greeley weder Ansprüche auf die Republikaner noch auf die Demokraten besitze, und daß seine Erklärungen zu Gunsten von Reformen nur die Stufen für seinen Ehrgeiz seien." Ein früher Obama also? Allerdings war er damals mit seinen Reformplänen nicht so erfolgreich, Ulysses Grant wurde im Jahr darauf wiedergewählt.

So weit die politischen Betrachtungen. Aber auch sonst gibt es geschichtlich interessante Berichte. So wurde der "Verein der Geschäfts- und Fabriksdiener" gegründet, was wieder nur ein Schritt im Kampf der Arbeiterklasse war. Ein Bericht aus der französischen Nationalversammlung meldet, dass man dort einen Vorgänger der Umsatzsteuer besprochen, aber dann doch wieder verworfen hat. Dagegen hat man die Patentsteuer gleich um sechzig Prozent erhöht.
Es gibt Telegramme, wie dass der Lloyd-Dampfer "Minerva" Triest erreicht hat, wo er die ostindisch-chinesische Post abgeliefert hat. Dann gibt es eines aus West-Indien: "Der Präsident von Haiti erließ wegen Wegnahme von Kriegsschiffen durch deutsche Fregatten eine Proclamation, welche sagt: Durch diese nicht provocirte und unerwartete Beschlagnahme wurde Haiti zur Zahlung der verlangten 3000 Pfund Sterling gezwungen; es protestirt jedoch entschieden gegen diesen Willkür-Akt."

Auch von einer zivilen Gerichtsverhandlung wird berichtet, wie auch von der Wiener Börse mit Kursen und Tendenzen. So erfahren wir, dass die Eisenbahnen "sehr flau" gehandelt werden, dass die fremden Valuten unverändert sind und dass man eine gute Ernte erwartet, was die Getreidepreise nach unten drücken dürfte.
Die Zeitung hat auch einen naturwissenschaftlichen Teil, in dem man heute "Ueber die Natur der Kometen" diskutiert. Dagegen fehlt jegliche Art von Unterhaltung, wie Kreuzworträtsel, Schachecke, usw.

Copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2009



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