MANN UND FRAU

SECHZIG


Leise stieg er aus dem Bett, vorsichtig, um jedes Geräusch zu vermeiden, das sie wecken könnte. Deshalb nahm er auch seine Kleider hinaus in die Küche, um sich dort anzuziehen. Es war zwar erst halb sechs, aber sie schlief nicht mehr so lange am Morgen, und sie konnte schon bald aufwachen. Leise öffnete er die Wohnungstür und ging hinunter in den Keller.

Als sie hörte, daß die Tür zuschnappte, beeilte sie sich aufzustehen. Sie gab sich keine Zeit anzukleiden, er würde ja nicht so lange wegbleiben. Sie schlüpfte nur schnell in den Morgenmantel. In der Küche setzte sie mit eifrigen Fingern den Kaffeekocher auf den Herd, räumte dann schnell ein paar Teller aus dem Schrank und griff nach der Torte, die dahinterstand. Die hatte sie gestern gebacken, als er beim Fußball war. Es hatte sie genug Mühe gekostet, ihn zu überreden, doch zum Match zu gehen. Natürlich wäre die Torte besser im Kühlschrank gestanden, aber sie hatte ja nicht sicher sein können, daß er nicht am späten Abend noch einen Leckerbissen haben wollte, und so die Torte entdeckte....

Als er im Keller die Blumen aus dem Einmachglas nahm, in das er sie gestern gestellt hatte, um sie frisch zu halten, lächelte er zufrieden. Auch wenn der Hochzeitstag auf einen Sonntag fiel, konnte man eine Lösung finden. Vierunddreißig Jahre Ehe hatten schon größere Probleme aufzulösen gegeben. Er betrachtete zärtlich die drei großen und vier kleinen Rosen. Es war auch ein wenig Stolz dabei. Vierunddreißig Jahre, in der heutigen Zeit war das fast eine Ewigkeit. Viele hielten es heutzutage nicht einmal vier Jahre zusammen aus. Natürlich war es nicht immer leicht gewesen, wenigstens eine der großen Rosen dürfte eigentlich nicht rot, sondern höchstens rosa sein - aber das war lange her.

Gerade als sie seine Schritte auf der Treppe hörte, war der Kaffee fertig. Er ging nun schon ziemlich langsam treppauf, aber sein Gang war ihr heute ebenso vertraut wie damals, als er noch mit jedem Schritt zwei Stufen auf einmal nahm. Sie beeilte sich den Kaffee in die Tassen aufzugießen, als er die Tür öffnete. Sie mußte das Lachen unterdrücken, als sie hörte wie er sich bemühte, die Tür leise zu schließen.

Als er ins Wohnzimmer trat, blieb er überrascht stehen. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht und er breitete die Arme aus. Schnell trippelte sie die paar Meter zu ihm hin und umarmte ihn. Sie standen eine ganze Weile so, ohne zu sprechen. Dann löste sie sich sanft und sie standen einander gegenüber. Er streckte die Blumen vor.
"Alles Gute", sagte er heiser.
"Danke, alles Gute", sagte sie. Sie stellte eine Vase auf den Frühstückstisch und schnitt ihm ein großes Stück der Torte ab.
Die Kinder würden wohl kaum vor zehn Uhr kommen, sie hatten also genug Zeit für einander. Und dann, zwischen zwei Schlucken Kaffee, kam es - zum Gefühl der Eintracht dazu, das gesprochene Wort:
"Erinnerst du dich noch..........."

Copyright Bernhard Kauntz, Västerås, Schweden 1996


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