Geschichte der Straßenbahn in Brüssel


Der öffentliche Verkehr in Brüssel war zunächst auf Autobusse ausgerichtet, die natürlich auch von Pferden gezogen wurden, aber nicht auf Schienen fuhren. Die Société Vaucamps war der wichtigste (private) Betreiber. 1867 waren sieben solcher Linien in Betrieb. Der Nachteil war natürlich die Schwere der Wagen, sodass man auch auf ebenen Strecken zwei Pferde vorspannen musste. Am ersten Mai 1869 wurde die erste Pferdestraßenbahnlinie eingeweiht. Der Erfolg machte, dass in den folgenden Jahren noch mehrere Linien folgten. 1879 wurden auf Betreiben der Stadt alle privaten Linien zu einer einzigen Gesellschaft zusammengezogen, nämlich den "Tramways Bruxellois".

Obwohl die Gleise eine bedeutende Erleichterung für den Betrieb bedeuteten, war er dennoch ziemlich kostspielig. Für jeden Zug, der von zwei Pferden gezogen wurde, musste man zehn Pferde halten, um auch bei Krankheitsfällen durchzukommen. Jedes Pferd machte dann täglich einen Dienst von gut dreißig Kilometern. Daher suchte man nach einem besseren und billigeren Antrieb.


Eine alte Zwickzange des Schaffners und mehr als jahrhundertalte Fahrkarten (in Neuausgabe)
Ende der Siebzigerjahre des 19. Jhd. kamen Versuche mit Dampfantrieb, aber wieder waren Steigungen ein großes Problem. Außerdem schreckten die lautstarken Maschinen die Pferde, die ihr auf der Fahrt entgegenkamen.

Beleuchtung auf einer Fahrerplattform vor gut 100 Jahren
Auch der Betrieb mit Batterien wurde zwischen 1887 und 1889 ausprobiert, ohne zu überzeugen. Erst 1893 kamen die ersten Oberleitungsfahrzeuge in Betrieb und mit der Elektrifizierung war die Lösung gefunden. 1897 versuchte man es mit einer Stromabnahme unter der Erde und hatte nun etwa 28 Kilometer zweispurige Bahnen mit Elektrizität betrieben. Zwei Jahre später bekamen die Tramways Bruxellois eine Konzession bis 1945 mit der Auflage, das ganze Netz zu elektrifizieren.


Triebwagen 984 aus dem Jahr 1906 mit einem Sommerwagenanhänger von 1910
Anfang des 20. Jhd. wurden auch Teile eines Schmalspurnetzes in die Tramways Bruxellois einverleibt. Gleichzeitig wurden viele technische Erneuerungen eingebaut, wie eine bessere Stromabnahme, größere Plattformen, Windschutzscheiben, das Querstellen der Sitzbänke sowie die Beleuchtung der Wagen. Auch die Gleise wurden verstärkt, weil die Garnituren teils schneller, teils auch schwerer wurden.
1928 geschah dann die letzte große Fusion mit den "Schokoladen-Trams", den braunfarbigen Garnituren der "Société générale des chemins de fer économics", die neuerliche 15 Linien und 40 Kilometer Gleislänge als Mitgift zuführten.
Zwischen den Weltkriegen nahm die Kapazität der Personenbeförderung stark zu, ebenso wie die Schnelligkeit des Transports. Die Weichen wurden jetzt in immer höheren Maß elektrisch betrieben.
1926 wurde die "Les Autobus Bruxellois" gebildet und die Autobuslinien wurden von der Straßenbahn getrennt. 1939 wurde die erste Trolleybuslinie eingeführt, die als Linie 54 nach Machelen fuhr. Die Oberleitungsbusse blieben bis 1964 in Betrieb.
Zum Jahresende 1945 lief die von der Stadt Brüssel genehmigte Konzession ab, aber der Staat schloss nun ein neues Übereinkommen mit der Provinz Brabant. Der Inhalt dessen war, dass der öffentliche Verkehr so wie bisher aufrecht erhalten werden sollte. Die Kriegsjahre hatten dem Wagenpark aber stark zugesetzt, sodass man sich gezwungen sah, auch ältere Modelle wieder in Betrieb zu nehmen. Ein "vorläufiges Komitee" bekam den Auftrag das Liniennetz zu versorgen und auszubauen, bis in Brüssel eine Organisation für öffentlichen Verkehr dies übernehmen konnte.

Ein Triebwagen aus der Zwischenkriegszeit
Trotz Nachkriegsschwierigkeiten versuchte man den Verkehr auszubauen und zu modernisieren. 787 Trieb- und 416 Beiwagen wurden in den ersten Nachkriegsjahren gebaut, sowie 25 Wagen mit beweglicher Achse. FAhrer und Schaffner bekamen Sitzplätze in den Wagen, die jetzt auch mit elektropneumatischen Türen versehen wurden. Außerdem wurden 1952 die ersten 50 Fahrzeuge des PPC-Typs geliefert, der Wagentyp der Serie 7000, der die zweite Hälfte des Jahrhunderts dominieren würde. Außer verbesserten Motoren gab es jetzt auch Gummieinlagen in den Rädern, die ein ruhigeres Fahren garantieren sollten.
Am 1. Jänner 1954 übernahm dann die Gesellschaft für interkommunalen Verkehr in Brüssel (MIVB = Maatschappij voor het Intercommunaal Vervoer te Brussel) das Kommando. Die Partner in diesem Konglomerat waren der Staat, die Provinz Brabant, die Stadt Brüssel, einundzwanzig Bezirke sowie Randgemeinden und schließlich die Tramways Bruxellois, die 50% des Kapitals stellten. Ein Jahr später wurden auch die "Autobus Buxellois" dieser Gesellschaft einverleibt.

Diese Serie der Triebwagen war noch bis 1978 in Betrieb.
Bis 1957 wurden weitere 105 PCC-Triebwagen geliefert, die bei der Weltausstellung im folgenden Jahr im Dienst sein sollten. Dennoch baute man 1960 noch 100 Wagen der Serie 4000 (mit fester Achse) um, um der größeren Nachfrage zu genügen. Diese waren dann noch bis 1978 aktiv. Aber schon 1962 fuhr ein Prototyp eines Gelenkwagens mit drei beweglichen Achsen. In den folgenden Jahren wurden dann 86 Standardwagen zu 43 Großraumwagen umgebaut.

Die Serie 7800 mit Fahrerplätzen vorne und hinten.
1972 wurden 98 Triebwagen der Serie 7500 in Betrieb genommen, die von dem Prototyp von 1962 ausgingen. Kurz danach folgten weitere 30 Wagen mit zwei Steuerplätzen (sodass sie in beide Richtungen gefahren werden konnten). Sie erhielten die Seriennummer 7800. 1977 kam die Serie 7900, die aus 61 Wagen mit 4 Drehachsen und zwei Gelenken bestand. Diese Triebwagen waren 28 m lang und konnten 180 Personen befördern. 1978 wurden die Gesellschaftsanteile der "Tramways Bruxellois" vom Staat aufgekauft.

Die 7500er wurden auch auf zwei Fahrersitze umgebaut und auf Serie 7700 umbenannt.
Ab 1979 wurden alle 7500-Triebwagen mit 2 Fahrerplätzen versehen und auf Seriennummer 7700 umgetauft. 1982 kam der Türöffner mit Druckknopf, den die Fahrgäste selbst bedienen konnten. Das beschleunigte den Verkehr, weil die Türen nur geöffnet wurden, wenn sie gebraucht wurden.
1989 wurde der öffentliche Verkehr in Belgien regionalisiert. Brüssel, Flandern und Wallonien bekamen die Freiheit, über den öffentlichen Verkehr in ihrer Region zu bestimmen. Für die MIVB änderte sich im Prinzip nur, dass der Auftraggeber jetzt nicht mehr der Staat, sondern die Region Brüssel war.
Es dauerte bis 1993, bevor ein neues Modell auf den Straßen zu sehen war. Es war dies der Tieflader T2000, der bei 44 Sitzplätzen 170 Fahrgäste fasst und nur 35 cm über dem Boden liegt. Ab dem 29. April 1994 befuhr der T2000 die Linie 94. Die Tiefflurstraßenbahnen wurden zwischen 2006 und 2008 mit 68 Wagen ergänzt, 49 Fahrzeuge T3000 mit 32 m Länge und 188 Plätzen, sowie 19 Exemplaren des T4000, der ganze 43 m lang ist und 263 Fahrgäste aufnehmen kann. Die beiden letzteren Typen haben auch Luftkonditionierung eingebaut, sowie eine elektrische Invalidenplattform.
Das Straßenbahnmuseum arrangiert an Sonn- und Feiertagen von April bis Oktober Rundfahrten mit historischen Straßenbahnen nach Tervuren. Bei dieser Gelegenheit werden auch die Schaffner und die Fahrer in zeittypische Kleidung gesteckt und benützen ebenso zeittypische Behilfsmittel. Ein Erlebnis ist das Abfertigen der Garnitur, wobei der Schaffner jedes Wagens einen kurzen Doppelstoß in ein Horn bläst.
Außerdem gibt es an Sonntagen eine Stadtrundfahrt mit Guide (jedoch nur Flamländisch oder Französisch) in einem Wagen des Baujahrs 1935.

Wenn man in einem offenen Sommerwagen sitzt, kann man nicht umhin, daran zu denken, dass es unsere Groß- und Urgroßeltern waren, die eine Straßenbahnfahrt auf diese Art erlebten - und dass sie dies als tolle Neuerung empfinden mussten. Was werden unsere Urenkel zu unseren heutigen "modernen" Straßenbahnzügen sagen?

Copyright Bernhard Kauntz, Wolvertem 2008


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Die Pferdestraßenbahn in Wien
Die "Elektrische" - die Entwicklung der Straßenbahn in Wien


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