Die Chronik einer kleinen Gemeinde


Auf meinen Streifzügen gehe ich immer gern in eine Buchhandlung, um vielleicht das eine oder andere Gustostückerl zu finden. Ein wirklicher Fund war die "Chronik der Gemeinde Gosau - von den Anfängen bis zum Jahre 1960", aufgezeichnet von Gottlieb Pomberger.

Dass man eine solche Arbeit zugleich als Stoff für Heimatkunde verwenden kann, zeigt folgendes Beispiel: Die Schrift wurde von der Schreibwerkstatt der Schulbibliothek der Hauptschule 1 in Bad Goisern 1997 am Computer bearbeitet und in einer Auflage von 100 Stück herausgegeben. Dass man nur sechs Jahre später das Werk im Buchhandel auf einen(!) Euro reduziert kaufen konnte, ist vielleicht weniger imponierend und eigentlich sehr schade.

Nun kann man sich die Frage stellen, ob es wirklich so wichtig ist, zu erfahren, dass es in Gosau am 7. und 8. Juli 1954 im Tal 15 - 20 cm Neuschnee gegeben hat, auf den Bergen sogar 80 - 120 cm. Es ist zwar nicht weltbewegend, aber immerhin ist es eine Bestätigung, dass das Wetter auch früher verrückt gespielt hat. Außerdem habe ich einen ganz persönlichen Bezug zu diesem Naturereignis. Vermutlich waren es diese heftigen Niederschläge, die in diesem Jahr die große Überschwemmung der Donau verursachten. Das Schreckenserlebnis meiner Kindheit war nämlich, als unser Sommerhäuschen in Klosterneuburg, weit weg von diesen Schneefällen, bis zum Dach unter Wasser gesetzt wurde. Und so erfahre ich ein halbes Jahrhundert später die Ursache dafür ...

Es verwundert, dass man noch in den Fünfzigerjahren des 20. Jhd. ganze 22 Monate für den Bau der neuen Volksschule gebraucht hat - heute wäre das vermutlich in 22 Tagen zu erledigen, auch wenn die Qualität möglicherweise nicht zu vergleichen ist.

Auch Weltgeschichte kann man nachlesen. Der Schreiber erzählt: "Die feindlichen Luftangriffe nahmen im Jahr 1944 ein besorgniserregendes Ausmaß an. Die Tatsache, dass der Feind auch Orte wie Gosau, also strategisch und kriegswirtschaftlich ganz uninteressante Orte mit einzelnen Bomben belegte, lieferte uns den Beweis, dass es unseren Gegnern auch sehr um die Zermürbung der Widerstandsmoral der zivilen Bevölkerung zu tun war." Das sind Dinge, über die unsere Geschichtsbücher heute geflissentlich hinwegsehen, weil Geschichte ja bekanntlich immer von den Siegern geschrieben wird.

Interessant ist auch die Unfallsstatistik. Während es in nahezu allen Jahren Bergtote gegeben hat, werden auch die ersten Verkehrsunfälle aus den Fünfzigerjahren gemeldet. Die Entwicklung des Tourismus spricht Bände. 1948 gab es 2496 Urlauber, die 7744 Nächtigungen beanspruchten. Neun Jahre später waren es 5670 Personen, die 48 919 Nächtigungen bezahlten ...

All diese Notizen betreffen eigentlich nicht nur Gosau, sondern sie zeigen die Entwicklung der Gesellschaft ganz allgemein auf.

Erstaunlich, ja nahezu unfassbar für mich, wie wohl für alle, die es nicht selbst erlebt haben, sind folgende Angaben aus dem ersten Weltkrieg: "... in welchem Maße die einzelnen Lebensmittelpreise während der Kriegszeit gestiegen sind: Rindfleisch um 677%, Kartoffel um 1614%, Butter um 2033%, Mehl um 3233% und Linsen um 4900%." Man beachte, dass dies die Preissteigerungen während des Krieges sind, nicht während der nachfolgenden Hyperinflation!

Eine Sportmeldung aus dem Jahr 1937 macht mich schmunzeln. "Den Sieg im Springen trug Josef Bradl aus Mühlbach davon. Er sprang auf der Dachsteinschanze 63 und 66 Meter und außerdem außer Konkurrenz 69 Meter." Damit ist jener Sepp Bradl gemeint, der später im Skispringen als Erster über 100 m weit flog und international absolute Spitze war.

Nun aber noch ein paar Meilensteine aus der lokalen Geschichte des 20. Jhd., die aus dieser Chronik herauszulesen sind:
1910 spendeten die ersten elektrischen Lampen ihr Licht.
Der Verfasser der Chronik, Gottlieb Pomberger, wurde 1912 als Gemeindesekretär angestellt.
Im Jahr darauf wurde das Stauwerk am Vorderen Gosausee vollendet.
Die Musikkapelle des Ortes feierte 1924 ihr 50jähriges Jubiläum.
Das Brigittaheim, ein Pflegeheim, dessen Grundstein 1922 gelegt wurde, wurde 1925 fertiggestellt.
1927 wurde die Mittertaler-Wasserleitung in Betrieb genommen. Im selben Jahr wurde der Hornviehmarkt, der viele Jahrzehnte lang nicht stattgefunden hatte, wieder eingeführt.
Das erste Lichtspieltheater wurde 1928 eröffnet.
Das "Unterkunftshaus" Dachsteinblick wurde 1929 erbaut.
1930 geschah ein Erdbeben, das so stark war, dass es sogar den Ofen im Gemeindehaus umwarf.
1934 wurde die Straße Gosauschmied - Gosausee für den Autoverkehr freigegeben.
Am 24. Juli 1937 gab es ein furchtbares Gewitter, das zu einer lokalen Hochwasserkatastrophe führte. Laut Angaben lag nachher der Schotter bis zu 1,20 m hoch auf einigen Feldern. Am schlimmsten war es jedoch für vier Personen einer Urlauberfamilie aus Wien, als das reißende Wasser die Brücke über den Glaslbach fortschwemmte, gerade als sie mit dem Auto darüberfuhren. In den folgenden Jahren wurde die Wildbachverbauung forciert.
Die Hornquell-Wasserleitung wurde 1952 fertiggestellt.
1957 kann man nachlesen: "Die Schaffung der Straßenbeleuchtung vom Postamte bis zur Ramsau fällt in dieses Jahr. Kostenhalber musste man sich in diesem Jahre nur auf diese Strecke beschränken."
Die Automatisierung des Telefons geschah 1958.


Die Chronik endet im Jahr 1960. Aber ich bin überzeugt davon, dass man bei einer Weiterführung die Ballonwoche erwähnt hätte, die jedes Jahr im Jänner vom Stapel geht und die mit der "Nacht der Ballone" den Auftakt zum Schneespektakel bildet, das seit 1995 durchgeführt wird. Gosau ist eines der größten Skigebiete in Österreich. Beim Schneespektakel gibt es daher allerlei Skiwettkämpfe, wie Verfolgungsrennen, aber auch Motocross und Snowboardveranstaltungen. Am Abend wird die Stimmung dann im Partyzelt mit Musik angeheizt.

Aber nicht nur die Veranstaltungen sollten Gosau attraktiv machen.

Das Naturschutzgebiet Gosausee bietet ganzjährig Erfrischung für die Seele, ein Freilichtmuseum zeigt, wie die Einwohner vor ein paar hundert Jahren gelebt haben, und 100 km markierte Wanderwege geben Möglichkeit zur Bewegung. Allein der Indianerkopf ist zum Beispiel wert, einen Ausflug zu machen.
Wer nicht wandern kann oder will, kann im Winter Pferdeschlittenausfahrten unternehmen oder im Sommer mit dem Gosauer Bummelzug fahren. Das ist in Wirklichkeit ein Taktor mit einem Anhänger, mit dem Ausflugsfahrten unternommen werden.

Nicht zuletzt sei erwähnt, dass man in den Bachläufen 100 Millionen Jahre alte Urtiere als Fossilien finden kann. Praktischerweise gibt es in Gosau auch eine Stein- und Fossilienschleiferei, wo Sie Ihren Fund fachmännisch bearbeiten lassen können.



Herzlichen Dank dem Tourismusverband Gosau für die freundliche Genehmigung, die Bilder zu veröffentlichen.
© Bernhard Kauntz, Västerås 2003

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last update: 6.11.2003 by webmaster@werbeka.com