Wien 1., Stadtspaziergang (Teil 2)


Vom Schulhof (siehe Teil 1) gehen wir ein paar Schritte zurück zum Haus der Kottanerin, biegen jetzt aber knapp vorher links in die Kurrentgasse ein. Kurrenten waren Steuereintreiber und hatten früher hier ihren Wohnsitz.

Gleich am Anfang, auf Nummer 2, gibt es schon eine Geschichte zu erzählen. Mitte des 16. Jhd. wohnte hier nämlich ein Heiliger. Das heißt, als er hier wohnte, war er noch kein Heiliger. Er hieß Stanislaus Kostka und war zu dieser Zeit noch ein Bub, gerade 16 Jahre alt, aber ein tief gläubiger Katholik. Als er eines Tages krank wurde und glaubte, sterben zu müssen, bat er, dass nach einem Priester geschickt werde. Der Schneidermeister Caspar Wachenschwanz, der Hausherr, war jedoch Protestant und verweigerte ihm die Bitte. Da erschien ihm in der Nacht die heilige Barbara und spendete ihm das Sakrament der Kommunion. Als Stanislaus wieder gesund war, trat er in den Jesuitenorden ein.

Danach ging er zu Fuß nach Rom, wo er jedoch ein Jahr später starb. Stanislaus wurde 1726 heilig gesprochen und ist der Schutzheilige studierender Jugend. Sein Gedenktag ist der 13. November.

Schon 1583 machte ein späterer Bewohner eine Kapelle aus dem Zimmer, in dem Stanislaus in der Kurrentgasse gewohnt hatte. Die Kapelle wurde 1742 neu gestaltet, ist aber bis heute erhalten. Man kann das auch von außen an dem schön ausgearbeiteten Fenster sehen. Das Innere der Kapelle kann man nur einmal im Jahr während einer Woche im November besichtigen.

Ein Stück weiter in der Gasse befindet sich das "Ofenloch", ein Restaurant, das seinen Namen von den Schwertfegern bezogen hat, die früher ebenfalls hier in der Nähe wohnten. Das Ofenloch bezeichnete die Feuerstelle, in der sie die Schwerter herstellten. Das Restaurant gibt es seit 1704.

Die Marienstatue in der Höhe des ersten Stockwerks desselben Hauses gefällt mir nicht, es sieht aus, als ob die Himmelskönigin Zahnweh hätte. Daher gibt es auch kein Bild davon.

Gleich neben dem Restaurant finden wir die Bäckerei Grimm - auch hier gibt es Tradition. Seit 1542 waren hier nämlich ununterbrochen Bäcker ansäßig. Und nocheinmal im nächsten Haus, auf Nummer 12, finden wir wieder ein schönes Portal. Auf jeder Seite des Tores spielen zwei Kinder mit Fabelwesen. (Die Kellnerin im Vordergrund gehört nicht zur Architektur - aber nachdem sie keine Anstalten machte wegzugehen, kam sie eben mit aufs Bild.)
Angebaut an das letzte Haus in der Kurrentgasse steht das erste Haus am Judenplatz. Ich habe aus Platzgründen den Bericht über den Judenplatz auf eine eigene Seite gestellt, empfehle Ihnen aber unbedingt, diesem Link zu folgen.

Wir verlassen den Judenplatz über die Schultergasse, wo wir auf Nummer 5 am Sterbehaus Fischer von Erlachs vorbeikommen, diesem Gott der Architektur, der schon vor 200 Jahren zum Teil das heutige Wien geprägt hat.

Die Schultergasse mündet in der Tuchlauben, gerade beim "Winterhaus", wo auch das "Winterbierhaus" untergebracht war, bis man 1901 das alte Gebäude mit dem heutigen ersetzte. Hier hat sich jedoch eine Steinstatue erhalten, die möglicherweise noch aus dem 16. Jhd. stammt. Man ist sich nicht ganz sicher, was sie darstellen soll. Ein vermummter Mann, der sich über einem "Gluthäferl" wärmt, passt natürlich zum Winterhaus. Aber nachdem dort der Bauernmarkt an den Fischmarkt grenzte, vermutet man, dass dies eine Verhöhnung seitens der Bauern war - die Fischer mussten nämlich auch im Winter ihre Ware ohne Mantel und Hut verkaufen.

Das Haus 19 in der Tuchlauben sticht von außen nicht sehr von anderen ab, außer durch sein Medaillon der Muttergottes aus dem 16. Jhd. Aber schon wenn man das Haus betritt, erlebt man eine erste Überraschung. Wir finden gotische Sedilien, die vermutlich als Sitznischen für eine Wachmannschaft gedient haben. Diese Entdeckung führt uns plötzlich noch viel weiter zurück im Zeitgeschehen.
Im ersten Stock wird es dann richtig interessant. Im Jahr 1979 hat man hier an der Wand Fresken freigelegt, die aus dem Jahr 1400 stammen. Damals besaß der Tuchhändler Michel Menschein das Haus, ein wohlhabender Mann, der sich einen Festsaal bauen und ihn dann mit Fresken ausschmücken ließ. Das ist heute vermutlich die älteste profane Malerei in Österreich.
Die Fresken sind Illustrationen zu Dichtungen von Neidhart von Reuental. Der Minnessänger lebte in der ersten Hälfte des 13. Jhd.
Wir gehen jetzt ein kurzes Stück zurück, bis wir zur Wipplingerstraße kommen, in die wir einbiegen. Bald sind wir wieder bei der Böhmischen Hofkanzlei, deren Rückseite wir schon am Judenplatz bewundert haben. Auf der anderen Seite der engen Wipplingerstraße finden wir das alte Rathaus, das schon 1435 erstmals erwähnt wurde. Die Fassade ist allerdings aus dem 18. Jhd.
Im - leider abgesperrten - Hof des Rathauses, das heute als Bezirksamt funktioniert, gibt es den Andromedabrunnen von Georg Raphael Donner. Das geparkte Auto verschönert ihn zwar nicht, aber ich hatte keinen besseren Winkel ...
Andromeda war eine Königstochter, die einem Seeungeheuer geopfert werden sollte, aber von Perseus befreit wurde.
Donner war ein Bildhauer der ersten Hälfte des 18. Jhd., dessen bekannstestes Werk wohl der Donner-Brunnen auf dem Neuen Markt ist.

Wieder auf der Wipplingerstraße, nehmen wir die nächste Quergasse rechts, Stoß im Himmel heißt sie. Ursprünglich galt dieser Name dem Haus Nummer 3 in dieser Gasse. Viele meinen, dass die gleichnamige Sage damit zusammenhängt, aber es ist der Familienname des 1529 verstorbenen Hans Stossanhimls, der für das Haus Pate stand. Die letzte Verwandte seines Namens, Marianne Stossinhimlin verstarb im Jahr 1797.

Wir biegen links in die Salvatorgasse ein und bekommen den ersten Blick auf die Kirche Maria am Gestade. Aus Platzgründen steht der Bericht darüber auch auf einer eigenen Seite, aber ich empfehle Ihnen, dem Link zu folgen.

Wir gehen ein paar Schritte hinauf in die Schwertgasse, wo wir auf Nummer 3 das Haus der sieben Schwerter finden. Es hat einen schönen Barockeingang und darüber eine Marienstatue, deren Herz von sieben Schwertern durchbohrt wurde.

Im Hausflur finden wir unter der Treppe eine Statue vom heiligen Alexius. Dieser Mann kam aus einem gutsituierten römischen Haus. In der Hochzeitsnacht verließ er seine Frau um sich auf Wanderschaft zu begeben und als Asket zu leben. (Hätte er sich das nicht einen Tag früher überlegen können? Oder war er so enttäuscht?) Nach Jahren kam er völlig verarmt nach Rom zurück, wo ihn keiner mehr erkannte.

Er lebte dann die letzten 17 Jahre seines Lebens als Bettler unter der Treppe seines Vaterhauses. Deshalb steht er auch hier unter der Stiege.

Wir aber gehen ein paar Meter zurück zur Kirche und dann die breite Freitreppe hinunter. Dort biegen wir links in den Tiefen Graben ein. Der Tiefe Graben ist das frühere Bachbett des Ottakringer Baches und somit kein Burggraben. Aber er bildete bis zum 13. Jhd. die Stadtgrenze.
Im Vorbeigehen notieren wir das Haus Nummer 23, wo sich im Mittelalter ein berüchtigtes Bordell befand. Im 18. Jhd. hatte ein Beamter dieses Haus gekauft, der Joseph II sehr verehrte. Er nannte daher sein Haus "zum Kaiser Joseph" und verwendete ein Bild des Kaisers als Hauszeichen. Das war natürlich nicht ganz mit der Gesellschaftordnung konform, daher wurde er aufgefordert, einen anderen Namen zu finden. Er ließ da einen Bart und einen Heiligenschein auf das Bild aufmalen und nannte sein Haus fortan "zum heiligen Josef".

Was sofort in die Augen sticht, wenn man in den Tiefen Graben einbiegt, das ist die Hohe Brücke. Natürlich hat es über den Bach immer Brücken gegeben, die ältesten schon zur Römerzeit. Die heutige Brücke ist allerdings erst gut hundert Jahre alt, sie wurde 1904 erbaut. Zwei Vorgänger der Brücke sind an ihr abgebildet. Außerdem gibt es Schilder, die besagen, dass die Brücke unter Bürgermeister Dr. Karl Lueger erbaut wurde, nach den Plänen von Architekt Josef Hackhofer und Oberingenieur Karl Christl. Ausgeführt wurde sie von der Brückenbau-Anstalt Anton Biró und dem Hofbaumeister Heinz Gerl.
Kurz nach der Brücke gehen wir am Haus 18 vorbei, wo ein Schild belehrt, dass Mozart bei seinem dritten Aufenthalt in Wien, im Sommer 1773, hier gewohnt hat. Und noch ein Stück weiter, auf Nummer 8-10 finden wir ein modernes Mosaik um die Fenster eines relativ modernen Hauses, mit der Ansage, dass Beethoven hier von 1815 - 1817 gelebt hat. Aber es fällt mir schwer, das Mosaik mit Beethoven oder seiner Musik in Verbindung zu bringen ...

Das Nachbarhaus, Nummer 6, ist sehr viel älteren Datums - hier sehen wir doch nur die Rückseite des Gebäudes. Die Frontseite liegt Am Hof.

Wir biegen nun beim Heidenschuss links ab und kommen nach ein paar Schritten auf den geschichtsträchtigen Platz Am Hof. Ich habe wieder eine eigene Seite dafür geschrieben. Ich empfehle Ihnen, dem Link zu folgen.

Wir verlassen den Platz durch die kurze Irisgasse, die wie die Jungferngasse nur eine Häuserbreite lang ist. Aber sie ist sogar noch kürzer, denn das ist die kürzeste Straße Wiens mit ihren 17 m Länge. Im 17. Jhd. war man nicht so zimperlich, da hieß sie Hundsfottgässel, weil sie nicht länger war als ein Hundsfott. Adam-und-Eva-Gässel hieß sie ein wenig später, weil man hier jährlich das Fastnachtsspiel von Adam und Eva aufführte. Karl VI verfügte 1719, dass man es nur an den letzten drei Tagen aufführen durfte und Maria Theresia wollte von solchen Unsittlichkeiten nichts wissen und verbot es ganz. Schließlich hieß die Gasse anfangs des 19. Jhd. Glockengasse, weil sich da eine Glockengießerei hier befand.
Inzwischen ist es schon sehr dunkel geworden und das Licht ist nicht mehr ideal zum Fotografieren. Aber man kann annehmen, dass das Hauszeichen die griechische Götterbotin Iris darstellt. Warum sie aber Rosen in den Händen hält, weiß vermutlich nur der Künstler selbst.
Wir gehen die paar Schritte vor bis zur Naglergasse, die eigentlich Nadlergasse heißen müsste, weil hier Nadeln und nicht Nägel hergestellt wurden. Hier findet man das Relief der Krönung Marias auf einem Haus aus dem 16. Jhd., das allerdings später umgebaut wurde.
Wir biegen dann links ein und folgen der Naglergasse bis zum Graben. Im letzten Haus, auf Nummer 2, finden wir ein Schild mit folgendem Text: "Im Jahre 1901 wurde beim Bau des Hauses an dieser Stelle ein Stück der Umfassungsmauer des römischen Lagers ausgegraben."
An dieser Ecke stand früher das Peilertor, das zuerst als Wachtturm und später als Gefängnis diente. Im 17. Jahrhundert gab es dort ebenerdige Geschäfte und von einem davon gibt es noch eine Geschichte zu erzählen, bevor unser Rundgang zu Ende ist.

Eines dieser Geschäfte war ein Zuckerbäckerladen und die Inhaberin eine Cäcilie Krapf. Eines Tages fiel ihr ein Stück Teig in einen Topf mit siedendem Fett, der nach ein paar Minuten eine schöne Färbung angenommen hatte. Der Krapfen war geboren! Allerdings hieß er nicht sofort so, denn Frau Cäcilie verkaufte ihre neue Schöpfung zuerst als Cilly-Kugeln.
Die Krapfs machten sich mit der Zeit ein Vermögen und ein Nachfahre kaufte später ein Stück Land am Kahlenberg. Daran erinnert heute noch das "Krapfenwaldl" und das dazugehörige Freibad.

In kommt der nächste Stadtspaziergang.


© Bernhard Kauntz, Västerås, 2008



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Seite erstellt am 14.10.2008 by webmaster@werbeka.com